laut.de-Kritik
Die klangliche Vielfalt lädt zum Entdecken und Genießen ein.
Review von Toni HennigRødhåd gründete 2018 mit WSNWG ein Zweitlabel und veröffentlichte dort nach mehreren Kollaborationssingles vor Kurzem sein zweites, recht vielseitiges Soloalbum "Mood". Nun folgt auf WSNWG mit "Out Of Place Artefacts" ein gemeinsames Album mit Vril.
Mit dem Hannoveraner arbeitete Rødhåd schon für sein Debüt "Anxious" zusammen. Auf dem Dystopian-Label des Berliners erschien 2018 auch die EP "Omniverse" von Vril. Darüber hinaus brachten die beiden gemeinsam im letzten Jahr bei den 10 Years Dystopian-Clubnächten die Tanzflächen rund um den Globus zum Kochen.
Produktionstechnisch haben Vril und Rødhåd einige Gemeinsamkeiten. So haben die zwei DJs und Producer, sowohl inspiriert von den Dub-Techno-Klassikern Basic Channels als auch von harten Underground-Techno-Sounds, genauso eine Vorliebe für wuchtige Bässe wie auch für Melodien und hypnotische Loops. Nur hat sich Vril im Laufe der Zeit mehr auf tiefgründige Klangtexturen spezialisiert als Rødhåd, dessen Musik eher in eine dystopische Richtung geht, die rituelle, perkussive Einschübe nicht ausschließt. Spezielle Stimmungen schaffen beide.
Für "Out Of Place Artefacts" trafen sich Vril und Rødhåd 2018 und 2019 zu zwei Aufnahme-Sessions im WSNWG Studio in Berlin. Dabei ließen sich die zwei von so genannten deplatzierten Artefakten inspirieren, die bis heute Wissenschaftler und Archäologen verwirren, da sie unmöglich in den Zeitraum oder an den Ort gehören können, in dem sie gefunden wurden. Die findet man auf der ganzen Welt verstreut.
Letzten Endes zieht sich eine mysteriöse und dunkle Atmosphäre wie ein roter Faden durch die einzelnen Tracks, während sich die Produktionsstile der beiden DJs und Producer irgendwo in der Mitte treffen, wobei Vril mit seinen deepen Texturen klanglich etwas die Oberhand gewinnt. Dadurch hat die Platte etwas Zeitloses. Dabei deckt sie verschiedene Stimmungen ab, klingt jedoch gleichzeitig wie aus einem Guss.
Zunächst leitet "Ennoch" mit verrauschten Texturen und dräuenden Ambient-Tönen, die kontinuierlich auf- und abebben, das Album majestätisch ein. Im weiteren Verlauf verbinden sich dann häufig bedrückend maschinelle Soundflächen mit einnehmenden Loops und melodischen Feinheiten. Nur verfügt das Werk über eine andere Klangpalette und über ein anderes Tempo als die bisherigen Veröffentlichungen Vrils und Rødhåds.
Das macht schon "Apophenia" im Anschluss unmissverständlich klar, wenn entschleunigte Drum'n'Bass-Beats, rituelle Einsprengsel und unterschwellige nächtliche Synthies für so viel Unbehagen sorgen wie die Sachen von Raime und Pessimist auf dem Blackest Ever Black-Label. Eine ebenso pechschwarze und bedrohliche Komponente weist später das experimentell vor sich hinpluckernde "Nazca" auf, das mehr von verzerrten, noisigen Texturen lebt.
Dabei begeben sich die beiden DJs und Producer auch mal auf ungewohntes klangliches Terrain. Dennoch begegnet man hin und wieder vertrauten Tönen. "Procyon" setzt zwar ebenso auf pluckernde Klänge, entwickelt sich aber nach kurzer Zeit zu einer rhythmischen Dub-Techno-Nummer, die Anfang bis Mitte der 00er-Jahre auch genauso gut von Rhythm & Sound hätte stammen können, was das Sounddesign anbelangt.
"Orela" dagegen erinnert vom Beatgerüst an Aphex Twins "Windowlicker", verpflichtet sich mit kühlen Electro-Synthies und subtilen melancholischen Klängen jedoch eher dem atmosphärischen Ambient-Techno denn der verspielten IDM-Schule des WARP-Labels. Dafür kommen in "Moscovium" Boards Of Canada-Referenzen nicht zu kurz, wenn verträumte, weitläufige Elektronik-Sounds auf knisternde Beats und zaghafte, perkussive Töne treffen. Gerade diese klangliche Vielschichtigkeit und Abwechslung lädt zum Entdecken und Genießen ein, am besten per Kopfhörer.
Die wären schon alleine für "Kybalion" ratsam, um inmitten des rhythmisch komplexen Soundbildes, das aus sakralen Einschüben, spacigen Synthies und perkussiven Feinheiten besteht, jedes einzelne klangliche Detail zu erfassen. Wenn danach das Werk mit "Dogon" so majestätisch endet, wie es begonnen hat, ist der Griff zur Repeat-Taste unausweichlich. So viel Tiefgang wie auf dieser Platte sucht man im aktuellen Techno nämlich vergeblich. Wer Vrils Opus magnum "Anima Mundi" und Teile des aktuellen Rødhåd-Albums mochte, wird auch diese fantastische Veröffentlichung in sein Herz schließen.
Noch keine Kommentare