laut.de-Kritik
Ein Zeugnis aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Welt.
Review von Jürgen LugerthDas beste, eines Meilensteins wahrhaft würdige Album des legendären Progressiv- und Artrock-Flagschiffs Yes herauszufinden, ist wahrlich eine undankbare Aufgabe. Das stellt sich erst heraus, wenn man sich ernsthaft an dieses Unternehmen heranwagt. Denn wie bei ihren großen Brüdern im Geiste Genesis, King Crimson oder auch Van Der Graaf Generator hat diese Gruppe einfach zu viele bedeutende und prägende Platten gemacht, die alle groß genug für diesen Titel wären.
Natürlich hat das grün gewandete, vielfältig schillernde Monstrum "Close To The Edge" von 1972 mit dem gleichnamigen Longtrack, dem ebenfalls weitschweifigen sanften "And You And I" und dem rockiger und etwas direkter zur Sache gehenden "Siberian Kathru" eine Menge Befürworter. Aber auch dessen Vorgänger "Fragile" sowie das folgende, sehr esoterisch angehauchte Doppelalbum "Tales From Topographic Oceans" und das die Nerven und Gehirnzellen geradezu überfordernde Crossover-Werk "Relayer" bieten sich als Nummer Eins in der Liste an. Manch einer könnte am Ende sogar das "Yes Album" ins Feld führen, das immerhin schon solche Bandklassiker wie "Yours Is No Disgrace" oder "Starship Trooper" enthält.
Unstrittig dürfte aber sein, dass Yes vor allem mit Steve Howe an der Gitarre und dem auch optischen Paradiesvogel und Tastenmagier Rick Wakeman ihre aufregendste Besetzung und mit diesen beiden musikalischen Koryphäen auch die größte Außenwirkung auf ihr Publikum hatten. Deshalb bietet es sich an, die umfangreiche, geradezu überbordende, dreifache Live-LP "Yessongs" als Meilenstein auszuwählen. Schließlich beinhaltet sie alle drei Stücke von "Close To The Edge" und neben ein paar aus der Live-Atmosphäre entsprungenen und deshalb einzigartigen musikalischen Schmankerln so ziemlich alle wesentlichen Songs von "Fragile" und dem "Yes Album", natürlich entsprechend den Fähigkeiten der Protagonisten auch auf der Bühne perfekt in Szene gesetzt. Über zwei Stunden höchstwertige progressive Rockmusik auf sechs Plattenseiten oder auf einer randvollen Doppel-CD zu haben, das kann man wahrlich 'value for money' nennen.
Ein weiterer Grund für die Auswahl dieser opulenten Werkschau aus dem Kernschaffen von Yes ist die Tatsache, dass sich die Band hier überaus spielfreudig präsentiert und der Sound viel erdiger als auf den teils überirdisch und distanziert erscheinenden Studio-Tracks erscheint. Das macht diese Prog-Götter nah- und greifbarer, gerade als ob sie für eine Weile aus dem Olymp der Kunst zu uns Nomalsterblichen herabgestiegen wären. Trotzdem verzichten sie kaum auf eine der festgeschriebenen Feinheiten, Wendungen und Noten aus dem Studio. Das Spektakel bleibt perfekt.
Allein die Eröffnung der ersten Plattenseite, die Stravinskis "Feuervogel-Suite" ins Feld führt, um dann nahtlos in das glorios gespielte "Siberian Kathru" mit seinen heroischen Keyboards, den unablässig durchlaufenden Gitarrenfiguren und den markanten Chören überzugehen, haut einen buchstäblich um. Das Schlussstück von "Close To The Edge", das im Original wie ein entschwindender Traum ausgeblendet wird, erweist sich hier als kraftvoller Opener und endet mit einem mächtigen Donnerschlag. Was für eine Wandlung!
Das folgende dynamisch-komplexe "Heart Of The Sunrise" ist eine treffliche Weiterführung und danach hört man "Perpetual Change", sich aufgrund eines Schlagzeug-Solos deutlich in die Länge zieht. Nun gut, früher war das so. Jeder Musiker einer Band brauchte im Laufe eines Konzertes sein Solo, sonst gab es hinterher schlechte Laune. Für Keyboarder Rick Wakeman heißt das, dass er etwa in der Mitte des Albums eine siebenminütige Zusammenfassung seines besten Solo-Albums "The Six Wifes Of Henry VIII" abliefern darf. Bass-Genie Chris Squire, der leider seit Mitte 2015 nicht mehr unter uns weilt, mischt im Gegenzug "Long Distance Runaround" mörderhenkermäßig mit seinem Bass auf, der wie ein wütender Elefant durch das an sich eher fragile Paradestückchen trampelt. Lemmy Kilmister, zu Lebzeiten ebenfalls ein eiserner Vertreter der 'Rickenbastard'-Fraktion, dürfte seine Freude daran gehabt haben!
Da lässt sich natürlich auch Gitarrist Steve Howe nicht lumpen und brilliert einerseits akustisch mit "Mood For A Day", soliert sich dann aber auch elektrisch heftigst durch das letzte Drittel von "Yours Is No Disgrace", das so fünf Minuten mehr Spielzeit erhält als in der Studioversion. Nur Engelsstimme Jon Anderson verkneift sich irgendwelche Solo-Arien. Dafür hatte er wohl während der Vorträge seiner Kollegen öfters mal Zeit, backstage ein Bierchen oder was auch immer zu sich zu nehmen.
Was haben wir noch? Eine angeraute, trotzdem ziemlich werkgetreue Version von "Close To The Edge", ein kräftig rumpelndes "Roundabout", den vielstimmigen Kanon "I've Seen All Good People" und noch einiges mehr. Am Ende beschließt das herrliche, mehrfach gegliederte "Starship Trooper" einen langen Konzert- beziehungsweise Plattenabend und lässt einen je nach Stimmungslage glücklich, erschüttert, vielleicht wehmütig (oder alles zusammen) zurück.
"Yessongs" ist ein Zeugnis aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Welt, die es so nicht mehr gibt. Trotz aller progressiven Bands der Neuzeit, von denen sich nicht wenige auch auf die alten Propheten Yes berufen, wird diese Art Musik so nicht mehr gemacht. Die Tage der (vermeintlichen) Unschuld sind lange vorbei. Wer ein wenig davon erahnen oder wiedererleben will, sollte sich ab und zu dieses Live-Monument oder eine andere der erwähnten Scheiben auf den Teller legen. Den Plattenteller wohlgemerkt. Alles andere wird diesen mächtigen Echoes aus der legendären Siebzigerjahre-Vergangenheit kaum gerecht.
Yes selber, die vielen jüngeren Musikhörern möglicherweise erst durch den gefälligen Radio-Hit "Owner Of A Lonely Heart" bekannt wurden, hatten den größten Teil ihres kreativen Pulvers Ende der Siebziger verschossen. Was heutzutage nach unzähligen Besetzungswechseln ab und an unter diesem Namen noch in Erscheinung tritt, darf man getrost in die Schublade 'Karikatur' einsortieren.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
20 Kommentare mit 35 Antworten
So etwas haben Menschen mal freiwillig gehört? Verrückt. Könnte ich mir gut als Beschallung im Gefangenenlager Guantanamo Bay vorstellen. Als Folterinstrument.
Jaaber noch unfassbarer ist es dass Menschen wie ich immer noch gerne und oft hören. Lugerth hat einen guten Kompromiss gefunden zwischen den Meilensteinen von 1971-1977. Stucki bist du ein Troll oder hast du von Progressive Rock keine Ahnung?
Ich habe - Gott sei Dank - von Progressive Rock keine Ahnung. Und finde es - nachdem ich es mir angehört habe - trotzdem ganz ganz schlimm.
Das Einzige was ganz ganz schlimm ist, ist dein dämliches und völlig uninteressantes Geisere, du Geistesriese.
@UBormeto_Pieces Du konntest mit Deinem Kommentar jetzt nicht gerade beweisen, dass es um Dich anders steht.
Eigentlich bist du ja nicht wert, noch eine Antwort zu kriegen. Aber wer eine legendäre Band wie Yes, ob er ihre Musik mag oder nicht, auch nur irgendwie mit Guantanamo in Verbindung bringt, dem müssen ja einige Schrauben fehlen. Und jeder Respekt vor dem Schaffen ernsthafter Musiker. Sei froh wenn dich einer Geistesriese nennt. Alle anderen sagen dir wahrscheinlich Schwachkopf. Habe fertig.
zumals sie in guantanamo gemessen am sonstigen radiodurschnittsprogramm der welt eigentlich ziemlich gute musik spielen.
kann ja der lager-dj nix dafür, wenn die frommen gotteskrieger alle so nen beschissenen musikgeschmack haben.
+2 kommas
@UBormeto_Pieces Ich spüre da eine gewisse Feindseligkeit Deinerseits, in Bezug auf meine - zugegebenermaßen zugespitzte - Formulierung. Ich nehme Guantanamo zurück. Diese Musik geht heutzutage natürlich überall als Folter durch. Mag freilich vor einem halben Jahrhundert mal einem kleinen Teil der Menschheit als ernsthafte Musik erschienen sein.
@Stucki Du willst doch nur darauf anspielen, dass man die Musik von Yes in ihrer klassischen Phase nur unter gleichzeitigem Konsum von bewußtseinserweiternden Substanzen genießen, kann. Spiesser!
Geh weiter Olly Murs hören, Stucki.
Eigentlich wäre der Meilenstein Close to the Edge oder Relayer, mit dem Triple-Live Album hat man natürlich vieles erschlagen. Toll gespielt in bester Besetzung, wenn nur der Sound nicht so ein Matsch wäre, m.E. schlecht gealtert.
Haha, als Solokünstler ist der tatsächlich ziemlich ungenießbar
Yes waren zu ihrer Zeit eine meiner Lieblingsbands, heute kann ich es nicht mehr hören, es geht einfach nicht mehr...
Warum denn nicht? Hör doch einfach Queen
Zeitlos geniale Musik für mich.