laut.de-Kritik
Mit der sexuellen Potenz einer Ochsenherde.
Review von Yannik GölzDie zwei Kings der Kultur aus dem hessischen Villingen sind back wie ein Zombie. Amigos-Season, Baby. Die einzige Gruppe, bei der man nicht weiß, ob da auf dem CD-Umschlag die Album-Zahl der Gruppe steht - oder doch nur die Seriennummer. 50 Jahre Grind, und einmal mehr schunkelt eine untote Polonaise aus dem ZDF-Fernsehgarten auf den Reichstag zu. "Freiheit" sagt: Sky is the limit, die Amigos können alles. Wenn sie wollten, würden sie morgen in Katar doppelten Mittelsturm bei der WM spielen. Wenn sie wollten, wären sie morgen Mitglied acht und neun bei BTS. Wenn sie wollten, wären sie Football-spielende Könige im Weltall. Aber "Freiheit" macht eins klar: Dieses Mal sind die Amigos vom Olymp herabgestiegen, um zu ficken.
Und das wortwörtlich: Diese Amigos-Scheibe ist horny. Es fällt dem Mythos anheim, ob die Amigos einfach im Jahre 1978 einmal Sex hatten und seitdem Karriere damit machen, oder ob sie immer noch die unaufhaltsamen Aufreißer sind, die die Musikvideos nahelegen. Auf jeden Fall gipfeln hier Romantik, Galanterie und Erotik in Songs wie "Der Absolute Wahnsinn": "Wie du mich verführst, das ist der absolute Wahnsinn", beteuern sie da, unterschwellig, aber sehnsuchtsvoll, wie Prince in seinen besten Jahren.
Da leuchtet es nur ein, wenn die beiden sich auf "Eldorado" als "Desperados" bezeichnen. Man kann es sich bildlich vorstellen: Bernd und Karl-Heinz auf ganz heißen Harleys, eine Flasche Tequila in der Linken, die Geliebte in der Rechten, heizen im Sonnenuntergang durch die mexikanische Wüste. Aber zu lange sollte man auf die Herzensbrecher nicht warten, denn wo sie auch sind, sie sind hier, um auf die Kacke zu hauen: Zum Beispiel auf der Lead-Single "Déjà Vu", auf der sie mit dem Cadillac in der Berliner Disco vorfahren. Man sieht sie vor sich: rote Nerzmäntel, Gigolo-Hüte, Unterwelt-Könige.
Aber natürlich bekommen wir hier nicht nur Disco für besonders heiße Après-Ski-Nächte. Immerhin sind die Amigos – entgegen allem Anschein – aus ihren Zwanzigern schon heraus, und wissen, dass es wichtigeres im Leben gibt als Schönheit und den Genuss. Deswegen bringen sie dem Hörer auf Songs wie "Freiheit" trotzdem unverzichtbare Lebensweisheiten nahe. Lebe dein Leben, hört man da dann, womöglich zum ersten Mal, dass sich ein Deutschpop- oder Schlager-Song mit dieser philosophischen Kernthese befasst. Aber auch abseits der Metaphysik schürfen die Amigos tief: "Nachts In Ihren Träumen" beschreibt das Schicksal einer Frau aus der Arbeiterschicht, der die Amigos solidarisch und subversiv die emanzipatorische Freiheit zugestehen, Nachts zu träumen. Wie die letzte Zeile des Refrains nahelegt, am besten von den Amigos. Aber mal ehrlich, wer noch nie einen feuchten Traum von den Amigos hatte, werfe den ersten Stein.
Damit ist aber noch gar nicht abgedeckt, wie weit die Themen-Komplexe dieses Albums reichen. Wir kriegen sowohl die Wikipedia-Zusammenfassung des Filmplots von Rocky ("Rocky") und des Mythos von Ikarus ("Ikarus"), dazu weitere Zeugnisse ihrer über die Jahre gefestigten Männlichkeit. Zum Beispiel, wenn sie auf "Du Kriegst Sie Nie" einem Schulfreund ihrer Partnerin reinreiben, dass er seinen Schwarm damals an die Amigos verloren hat. Das hat nicht nur eine wunderbar reife – und gerade einmal 50 Jahre verspätete – Ätschbätsch-Attitüde, sondern auch feinsinnige Poesie wie "Damals schon in der Schule / Warst du der Coole" zu bieten. Nur ein wirklich in sich gefestigter, weiser Mann würde so einen Song schreiben.
Da geht also einiges auf diesem neuen Amigos-Album, das man erst einmal inhaltlich verdauen muss. Beruhigend, dass wir endlich auch einen gefestigten Sound bekommen. Vorbei die Tage, als sie 1969 live in Woodstock den Progrock erfanden, auch von ihrer experimentellen Berliner Techno-Ära aus den Neunzigern hört man wenig. Diese Scheibe frönt eisern dem Amigos-Sound, dem über 50 Jahre Experimentierfreude herauskristallisierten objektiv besten Sound für Musik: Karussell-Drumlines mit Bratwurstgeruch und Alpenzauber-Glitzer-Synths. Das klingt so gut, dass man von der Formel keine Sekunde abweichen will. Tun sie zum Glück auch nicht. Eine Zumutung wäre das gewesen, hätten sich Tempo oder Drumbeat hier auch nur für einen Takt der 50 Minuten verändert.
Was soll man also abschließend sagen? Die Amigos? Kings. Einfach nur Kings. Alles erreicht, aber immer noch Libido wie eine Fußballjugend im Sommercamp. "Freiheit" verbindet musikalische Virtuosität mit der sexuellen Potenz einer Ochsenherde, dem Feinsinn alter römischer Dichter und der emotionalen Tiefe des Mariannengrabens. Der Amigos-Sound, das ist einfach, wie Peak Performance aussieht. Es tut mir Leid für all die piekfeinen Herren, die andere Musik hören, weil sie sich für das hier für zu gut halten. Aber ernsthaft: Wer die Amigos hatet, der steht auf der falschen Seite der Geschichte.
31 Kommentare mit 43 Antworten
Ich habe an und für sich großen Respekt vor Leuten, die so konsequent ihr Ding durchziehen (lassen).
Leider sind die Amigos aber nicht in der Lage, Kritik halbwegs eloquent zu parieren. Stattdessen sind die immer sofort beleidigt.
Die sollten sich ihren Mentor Achim zum Vorbild nehmen, der wusste, wie man damit umgeht. Gott hab ihn selig.
Ach ja, die Musik ist echt sehr schlecht. Muss mal wieder Lotosblume von der Flippers hören, das war noch gut produzierter Pop-Schlager.
Was heißt "Respekt" vor "konsequent ihr Ding durchziehen", als wäre das eine ehrenhafte künstlerische Leistung. Die liefern ihren 1,2,3-Schlager ab und schweffeln damit Kohle.
Ich schrieb: "an und für sich". Der Konsequenz, mit der z.B. H.P. von Scooter "sein Ding" durchzieht, kann man durchaus Respekt zollen. Inwiefern das als "künstlerische Leistung" durchgeht, ist natürlich immer eine Frage des eigenen Standpunkts.
Der Verriss ist übrigens sehr liebevoll geschrieben. Gar nicht so einfach, sich bei der Kapelle noch etwas neues einfallen zu lassen.
Tja. Das Verhältnis zwischen Vorstellbarkeit von Rentnersex im jungen und mittleren Alter und dessen tatsächlicher alltäglich-quantitativer Stattfinding im namensgebenden ist und bleibt ein diametrales, ne?
Wer über so viele Jahre sein Ding machen kann, ist schon bewundernswert. Auch wenn es meins nicht ist, sind sie doch authentischer als diese Laurel Canyon Inszenierung.
Wer übrigens Bock hat, sich mal die volle Dröhnung Amigos auch behind the scenes zu geben, dem sei die folgende Doku ans Herz gelegt: https://www.youtube.com/watch?v=OZQzDe-_y88
Wer wird bei solch grandioser Rezensionslyrik schon auf Kleinigkeiten wie Rechtschreibfehler (Willingen, Marianengraben) schauen? Aber korrigieren könnte man's dann doch, um das Lesevergnügen nicht zu trüben …