laut.de-Kritik
Klezmer mit der Energie von Punk und Bebop.
Review von Ulf KubankeDie niederländischen Klezmerpunks sind zurück. Obwohl sie bereits ein halbes Dutzend Tonträger vorweisen können, gilt die Amsterdam Klezmer Band hierzulande noch immer als Geheimtipp. Mit dem aktuellen Album wird sich das hoffentlich ändern. Die Musik der Holländer ist nämlich ebenso einzigartig wie elektrisierend. "Zaraza" bedeutet in den meisten slawischen Sprachen soviel wie Epidemie/Infektion. Und ansteckend ist das Album im wahrsten Sinne des Wortes
Von Beginn an rast der Klezmer-Zug mit "Banat" von null auf hundert durch den Gehörgang. Der traditionelle uralte Klezmersound à la Naftule Brandwein oder Giora Feidman ist hierbei nur Ausgangspunkt der Reise. Die Geschwindigkeit des Tracks ist ein vielfaches schneller und wirkt dadurch roher und punkiger.
Auf "Alles Kann Beter" fügen Saxophon und Trompete dem Gebräu noch einen gehörigen Schuss Bebop hinzu. "Kesikköprü" ist ein zum Tanzen animierender Bastard aus sephardisch-orientalischem Folk und Cooljazz. Die punkrockende Rotzigkeit treiben AKB in "Op Een Goppe" auf die Spitze getrieben. Durch den rauh-schrägen Reibeisenklang Alec Kopyts und Job Chajes erhalten die gesungenen Tracks einen schnapsseligen unwiderstehlichen Kontrapunkt zum virtuos gespielten instrumentalen Fundament. Ihre sanft emotionale Seite präsentieren die sämtlich jüdischstämmigen Klezmer-Rebellen auf "Netty". Hier vermischen sie gekonnt die tieftraurigen Elemente des Jewish Folk mit einer jazzigen Blues-Seele.
Album und Band befreien die jüdische Volksmusik aus der etwas betulichen Schtetl-Ecke. Die punkjazzige Frischzellenkur von AKB rettet den Klezmer ins 21. Jahrhundert ohne ihn zu verraten und seiner Wurzeln zu berauben. Das verschafft der Band eine Pionierposition, die in dieser musikalischen Richtung bislang einmalig ist. So gesehen sind ihre Väter weniger die großen alten jiddischen Klezmorim. Die Amsterdam Klezmer Band steht vielmehr in der Tradition großer Folkmodernisierer wie den irischen Pogues oder den französischen Les Negresses Vertes.
Ich kann jedem aufgeschlossenen Hörer nur empfehlen, ein Ohr zu riskieren. Der gesamte Tonträger eignet sich hervorragend zum wild trunkenen Abfeiern als auch zum konzentrierten Hören. Das schaffen nicht viele Alben. Dafür ein fröhliches Masel Tov in die Niederlande.
26 Kommentare
hätte mich auch schwer gewundert, wenn ich neben dieser kritik nicht den namen gelesen hätte, der dort steht.
@dein_boeser_Anwalt (« @Olsen (« musikerpolizei-attitüde? »):
dieses lustfeindlich verklemmt verschränktarmige rumgestehe mit hochgezogener augenbraue "guck mal, da hat er sich verspielt" »):
"Here we are now. Entertain us!"
Ne, ich glaube, zu der Mucke verirrt sich diese Spezies eher selten. Mal ganz davon abgesehen, dass diese Klezmorim meistens so verteufelt gute Musiker sind, dass die sich nur gelegentlich "absichtlich" verspielen.
Im Grunde läuft es ja so ein wenig wie in der europäischen Jazz-Szene. Es gibt ein lebhaftes Interesse, aber doch nur soviel, dass sich Macher, Musiker und Multiplikatoren (und auch ein Teil des Publikums) wie in einer großen Familie mehr oder weniger alle untereinander kennen bzw. ständig kleinere und größere Projekte miteinander machen.
Deshalb kann ich auch nicht so ganz nachvollziehen, warum gerade die AKP nun eine so herausgehobene Rolle in der Erneuerung der Klezmer-Szene spielen sollen. Auch die Kreuzung Klezmer/Club/Dancefloor-Musik haben sie nun wirklich nicht erfunden. 2003 hat Sophie Solomon (Ex Oi Va Voi) mit dem Rapper und Producer Socalled das vielbeachtete Album "HipHop Khasene" herausgebracht. Und die Londoner Oi Va Voi machten ganz genau mit dem Rezept Klezmer/Club ab etwa 2005 von sich reden. Dazu hieß es bereits 2004 im Rolling Stone: „Ist dies womöglich das nächste Gotan Project?"
Kurz und gut. Ich glaube, es gibt eine ziemlich vitale, untereinander bestens vernetzte "Future Klezmer"-Szene. Die Frage ist für mich eigentlich eher die, ob es einen Durchburch "von unten", sprich durch wesentlich jüngere Newcomer gibt, die nicht nur als renomierte Klasse-Musiker sondern auch als "Rollenmodelle" für ein wesentlich jüngeres - meinetwegen auch mit verschränkten Armen dastehendes - Publikum attraktiv sein können.
oi va voi klingen anders. die pionierleistung besteht darin, die extreme geschwindigkeit aufzunehmen und dann zu remixen
Ich hab' die CD inzwischen eine ganze Weile und auch ganz schön oft gehört. Ist wirklich Klasse. Neben "Vesna" und "Op Een Goppe" ist vor allem Nr. 2 ("Takaj Zhizn") mein Lieblingsstück. Darin heißt es:
"I carry on day and night
despite warnings against dangers
of excessive partying.
So I ask my doctor for the anti-party pill,
and I hope it will work"
Haha. Passt ja zum heutigen Neujahrstag.
Den gestrigen Abend habe ich allerdings seit vielen Jahren das erste mal eher ruhig zugebracht. Bei einem Klezmer-Konzert in einer Kirche. Das fand die Band auch eher ungewohnt. Ohne Tanzen und so. Die nannten sich "Bakshish Brass Band" und hießen früher "Grinsteins Mischpoche".