laut.de-Kritik

Sie schwören der zarten Poppigkeit ab.

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Das war vielleicht eine Schau im letzten Jahr, als Animal Collective auf ihrer kurzen Europa-Tour einem hilflosen bis einigermaßen entsetzten Publikum weite Teile ihres opulent verquirlten neunten Studioalbums "Centipede Hz" um die Ohren hauten, anstatt auf all ihre, "Hits" zu setzen, für die ihre Bewunderer doch so viel Zeit und Mühe geopfert hatten, um sie für sich zu enträtseln.

Dabei passt eine solch kompromisslose Haltung zur triebhaft-experimentellen Popmusik des tierischen Kollektivs aus Baltimore, das sich in seinem Forschungsdrang nach den kognitiven Grenzen und dem atomaren Möglichkeitsraum des Pop nicht allzu lange mit einer bloßen Reproduktion alter Songs aufhalten mag.

Der zarte Trend in Richtung zunehmend poppiger Klarheit wurde 2004 mit dem akustisch geschrubbten Freak-Folk-Album "Sung Tongs" eingeläutet. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand dies schließlich mit "Merriweather Post Pavilion", einem ersten Pop-Meisterwerke zur digitalen Revolution. Diesen Weg setzt das Quartett nach dem Wiedereinstieg von Multiinstrumentalist Joshua "Deakin" Dibb jedenfalls nicht fort.

Vielmehr gehen Animal Collective mit "Centipede Hz" wieder zwei Schritte zurück zu ihrem vorletzten Album "Strawberry Jam". Jenes war in seiner Kombination aus elektro-akustischem Datamoshing im Stil der Black Dice, Beach-Boys-Harmonien und kosmischem Prog-Rock, sowie rhytmischem Animalismus und harmonischem Tribalismus ähnlich wuselig konfiguriert war. Das passt, ist Centipede doch die Bezeichnung für die Klasse der Hundertfüßer.

"This is the news": Mit Frequenzrauschen aus dem Äther, einem metallisch einpeitschenden Industrial-Rhythmus und einem Gitarrenriff, das klingt wie eine Kreissäge, beginnt "Moonjock" ziemlich aggressiv. Der Track bauscht sich mit einer irrlichternden Kirmesorgel im Hintergrund dann zu einem herrlich verspulten Pop-Song auf, der sogar noch einen ekstatischen Freakout als Finale furioso obendrauf setzt.

Wer schon 2007 die wahnwitzige Single "Peacebone" mochte, wird den Cyber-Punk von "Moonjock" lieben. In diesem Stil geht es auch weiter: "Come On and le-le-le-le-le-le-le-le-le-le-le-let go", stottert David Portner (Avey Tare) erregt in "Today's Supernatural", einem bretternden Psych-Pop-Stück, das wohl nicht einmal bei Daniel Düsentrieb durch den TÜV kommen würde.

Im folgenden "Rosie Oh", einem Doo Wop für das 21. Jahrhundert, singt dann Noah Lennox. Der Song würde auch zu seinem melancholischen Solo-Output als Panda Bear passen, wäre da nicht immer wieder diese tausendfüßlerische Kakophonie, diese scheinbar destruktiven Trojaner-Sounds, die "Centipede Hz" für den Gelegenheitshörer zu einer enervierenden Angelegenheit machen dürften.

Nach "Applesauce", das blasierte Hipster, die nur zum coolen Imperativ der Knappheit tanzen können, ob seiner hippiesken Versponnenheit endgültig in die Flucht schlagen dürfte, folgt in "Wide Eyed" eine Art Folk-Spiritual mit diametral gesetztem, polyrhythmischem, mosaikhaftem Elektro-Loop. Obwohl die vier Bandmitglieder als gleichberechtigte Songwriter ausgewiesen sind, gibt es das erste Deakin-Stück bei Animal Collective – ein durchaus gelungenes.

Ein Muster ist auf dem Album langsam, aber deutlich erkennbar: Denn auch "Father Time", "New Town Burnout" und "Monkey Riches" suchen die brutale sonische Unentschiedenheit zwischen leierndem Midtempo plus den verschütteten Melodien eines euphorischen Indie-Rock und der provokativen Antiästhetik moderner Kunst. Dieser widmen sich Animal Collective in ihrem "visuellen Album" "Oddsac" und zuletzt auch mit der EP "Transverse Temporal Gyrus".

So ist sie seit jeher, die DNA von Animal Collective, denen es trotz ihrer erstaunlichen Popularität nie um die Vergegenwärtigung ihrer Musik gegangen ist. Sondern um die abstrakte Möglichkeit eines Hundertfüßers im Weltraum.

Trackliste

  1. 1. Moonjock
  2. 2. Today's Supernatural
  3. 3. Rosie Oh
  4. 4. Applesauce
  5. 5. Wide Eyed
  6. 6. Father Time
  7. 7. New Town Burnout
  8. 8. Monkey Riches
  9. 9. Mercury Man
  10. 10. Amanita

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