laut.de-Kritik

Der Popstar der Stunde dreht eine Mixtape-Ehrenrunde.

Review von

Ariana Grande hat das Konzept Popstar höchstpersönlich wieder interessant gemacht. Als eine der blassesten Persönlichkeiten im Showgeschäft samt Kinderstar-Hintergrund stellte sie 2018 ein schauerliches Jahr so aufwühlend auf die Probe, dass die Öffentlichkeit ihr darauffolgendes Album besonders hellhörig aufnahm. Und "Sweetener" zeigte nicht nur ihr Durchhaltevermögen nach der Attacke in Manchester und der prominenten Trennung von Mac Miller, sondern konnte erstmals auch musikalisch die Persönlichkeit in die Musik injizieren, die ihre Stimmgewalt verdient hatte.

Gerade einmal ein halbes Jahr später fasst ein Tweet die weitere Entwicklung ihres Privatlebens ganz gut zusammen: "remember when i was like hey i have no tears left to cry and the universe was like HAAAAAAAAA b*tch u thought". Mac Miller ist tragisch gestorben, von Pete Davidson trennte sie sich.

"Thank U, Next" und die gleichnamige Single sind ein geradliniger Versuch, die Kontrolle über die Narrative wieder an sich zu reißen. Gleichzeitig stellen die beiden daraus erschienenen Nummer-eins-Singles einen einmaligen kommerziellen Höhepunkt für Ariana dar. Und auch wenn diese neue Platte in Sachen Raffinesse und Details nicht an die von Pharrell unterstützte Experimentierfreude des Vorgängers heranreicht, zeigt sie dennoch eine Ariana Grande auf dem Zenit ihres Star-Appeals.

Der macht zunächst auch vergessen, dass "Thank U, Next" eher sperrig beginnt. Imagine", "Needy" und "NASA" sind blutleere Soft Pop-Nummern, die allen voran von einer Reverb-gesättigten Intimität und Arianas vielseitigem Stimmeinsatz getragen werden.

Hier stellt man fest, was sie gemeint haben muss, als sie jüngst in einem Billboard-Interview verlautbarte, dass sie von nun an eher wie ein Rapper arbeiten wolle. Viele der Songs sind sehr intuitiv, spannen sich eher um einen Synthesizer-Sample-Loop mit Trap-Percussion, auf der eine luftige Chorus-Melodie entsteht, die große Teile des Songs ausfüllt, ohne besonders viel Hook an den Tag zu legen.

Es ist zwar definitiv Popmusik, aber bisweilen so skizzenhaft geschrieben, dass die Songs sich eher wie Mixtape-Cuts anfühlen. Rohe Ideen, die die Neugier mehr durch Klang und Text auf sich ziehen, als tatsächlich den großen Chorus zu suchen. Ein Vorgehen, das gerade für ein Max Martin-produziertes Projekt bemerkenswert ist.

Heißt nicht, dass die konventionellen Pop-Refrains ausbleiben. Im Gegenteil, Mitte und Ende des Albums stellen mit die ansprechendsten Phasen dar. "Bloodline" kommt mit exzentrischer Horn-Line und einem intensiven Kiss-Up-Thema daher, "Fake Smile" samplet den klassischen Wendy Renee-Song "After Laughter" (bekannt aus "Tearz" vom Wu-Tang Clan) für ein glamouröses, Broadway-Vibes evozierendes Self Care-Anthem.

Diese Hochphase wird von den eher uninspirierteren Nummern "Make Up", "Ghostin" und "In My Head" unterspült, die zwar alle in Instrumentierung und Thematik unorthodoxe, spannende Ideen vorweisen, aber zu ungeerdet und leichtfüßig daherkommen. Besonders bei "Ghostin" tut das weh, denn der Song, der wie der direkte Nachfolger zu "Pete Davidson" auf "Sweetener" anmutet, hätte so vieles sein können: Die Auseinandersetzung mit der Tragödie um Mac Miller und Davidson kommt in Form einer minimalistischen Ballade, die aber so glatt und poliert serviert wird, dass sie einfach nicht nahegeht.

Generell bleibt Arianas Reflektion über ihr neu gefundenes Single-Leben auf "Thank U, Next" ambig. Sie schwelt in einer Aura des erwachsenen Umgangs, selbst zu Themen wie kurzen Liebschaften und Trennungen bleibt ihre Sprache bewusst gewaltfrei, Self-Care rückt immer wieder ins Zentrum. Und doch münden ihre Dankbarkeit und der Pazifismus immer wieder in Sackgassen, gerade wenn sie doch deutlich aufzeigt, dass die Situation problematisch, eklig und schmerzhaft gewesen sein muss.

Wenn sie etwa auf "Ghostin" darüber spricht, wie ihr aktueller Lover mit der Einsicht leben muss, dass er nicht mit einem neuen Mann in ihrem Leben konkurrieren können wird, unterwandert ein gewisser Zynismus auch die wohlwollendste Formulierung. Ob bewusst oder unbewusst, diese Momente führen das gesamte Konzept ad absurdum, dass es in jeder Beziehungslage überhaupt einen konstruktiven und erwachsenen Umgang geben kann.

Diese Ambivalenz wird erst gegen Ende des Albums abgemildert, wenn die Singles "7 Rings" und "Thank U, Next" eine selbstbewusstere, dominantere Attitüde an den Tag legen. Der Trap-inspirierte Balling-Track "7 Rings" strahlt "Bitch, Better Have My Money"-Rihanna-Energie aus und "Thank U, Next" ist in der sanften Präzision und deutlichen Selbstbestimmtheit einer der erfolgreichsten Einflussnahmen auf die öffentliche Meinung der jüngeren Pop-Geschichte. Lediglich das alberne und unsympathische "Break Up With Your Girlfriend, I'm Bored" hätte nicht noch ans letzte Ende geklemmt werden müssen.

"Thank U, Next" ist eines der interessantesten Pop-Alben der vergangenen Jahre geworden, auch wenn bei weitem nicht alles an der Platte funktioniert. Platteneinstieg und Beginn der zweiten Hälfte schaffen es nicht, aus dem Mixtape-Arbeitsprozess wirklich zufriedenstellende Popsongs zu zimmern. Dagegen stehen Highlights wie "Fake Smile" und der Titeltrack, die Ariana als öffentliche Person plastischer und detaillierter porträtieren, als es ihr bisher je gelungen ist.

Und nicht zuletzt bleiben eben immer noch vier Oktaven Stimmgewalt, die auch durchwachsenere Songs davon abhalten, wirklich langweilig zu werden. Das Album reicht nicht ganz an die Inspiration und Sorgfalt des Grammy-gekürten "Sweetener" heran, aber zumindest bringt ihr "Thank U, Next" eine verdiente Ehrenrunde als Popstar der Stunde ein.

Trackliste

  1. 1. Imagine
  2. 2. Needy
  3. 3. NASA
  4. 4. Bloodline
  5. 5. Fake Smile
  6. 6. Bad Idea
  7. 7. Make Up
  8. 8. Ghostin
  9. 9. In My Head
  10. 10. 7 Rings
  11. 11. Thank U, Next
  12. 12. Break Up With Your Girlfriend, I'm Bored

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