laut.de-Kritik

Dafür zieh ich meine Lippe nicht hoch, Billy.

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Billy Idol hatte objektiv mehr Hits als Michael Jackson. Die kompletten 1980er lief es für ihn nach Plan und er reihte einen an den nächsten. "Charmed Life" und die darauf enthaltene Single "Cradle Of Love" halfen ihm nach einem schlimmen Motorradunfall behutsam in die 1990er. Was sollte denn nun schon passieren?

Freundlich formuliert war das, was Idol 1993 mit "Cyberpunk" auf seine Fans losließ, ein mutiger Schritt. Realistisch ausgedrückt: Karriereselbstmord. Das Album, das seiner Zeit voraus war und ihr ebenso hinterher hinkte, brachte eine ganze Szene gegen ihn auf. Ein überambitioniertes Konzeptalbum, inspiriert von William Gibsons Werken, voll elektronischer Beats, psychedelischen Ausflügen und nur noch wenig Rock. Inklusive Bananenfrisur. Im Scheitern dieses Albums und dessen Wirrnis liegt eine Faszination und seltsame Schönheit.

Billy Idol brauchte zwölf Jahre, um sich von "Cyberpunk" zu erholen. Erst 2005 folgte "Devil's Playground". Seitdem hält der Sänger seinen Pop-Rock mit Punk-Attitüde von jeglichen Experimenten fern. Billy Idol verwaltet sich nun selbst. Seither bekommt jedes Jahrzehnt ein Album mit neuen Songs. Das muss reichen. 2014 folgte "Kings & Queens Of The Underground". Die 2020er bekommen mit "The Roadside" sogar erst einmal nur eine EP mit vier Stücken, die man aus alter Verbundenheit gerade noch als durchschnittlich bezeichnen kann. Er gibt uns less, less, less.

Die zusammen mit Gitarrist Steve Stevens geschriebenen Tracks produzierte Butch Walker (Green Day, Weezer). Wieder einmal soll die Pandemie an dem überraschenden Ausbruch von Kreativität und – hust - Arbeitswut schuld sein. Das flotte "Rita Hayworth" beginnt mit stadiontauglichen "Oh Oh Oh"-Gesängen. Also Musik für die Orte, an die Idol nur noch kommt, wenn ihn Miley Cyrus auf die Bühne holt. Eine sich groß aufspielende und sofort wieder vergessene Nummer als Ode auf die amerikanische Schauspielerin. Hayworth erzielte in den 1940ern ihre größten Erfolge. Was zu Zeiten von Billy Idols Hits so weit zurück lag wie heute eben diese.

"Bitter Taste" geht trotz des seichten "Hello, goodbye / There's a million ways to die"-Refrains noch als bestes Lied der EP durch. Eine langsame staubige Rock-Nummer, in deren Text sich der Sänger an seinen dramatischen Motorradunfall im Februar 1990 erinnert. Nach einem fünffachen, teils offenen Trümmerbruch hätte er fast sein rechtes Bein verloren. Wenn das Label diesen oberflächlichen Text als seine "bisher introspektivsten und schonungslos offensten Lyrics" bezeichnet, ist dies auch eine subtile Art, Idols Backkatalog zu dissen.

Das egalste "U Don't Have To Kiss Me Like That" geht im Stil von "Don't Need A Gun" zurück zum "Whiplash Smile"-Sound. Der Refrain von "Baby Put Your Clothes Back On" versprüht "Island In The Stream"-Kitsch. Steve Stevens gibt wirklich alles, um das Stück mit etwas Western-Atmosphäre zu retten und schafft es sogar fast.

Mit "The Roadside" erfüllt Billy Idol artig die an ihn gesetzten Erwartungen und klingt gerade deswegen so uninspiriert und langweilig. Die Songs sind der zigste Aufguss alter Ideen, gerade mal einen rebel yawn wert. Dafür zieh ich meine Lippe nicht hoch, Billy.

Trackliste

  1. 1. Rita Hayworth
  2. 2. Bitter Taste
  3. 3. U Don't Have To Kiss Me Like That
  4. 4. Baby Put Your Clothes Back On

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