laut.de-Kritik
Superproduzent veröffentlicht seine "Boss"-Platte.
Review von Alexander KrollBleachers-Sänger Jack Antonoff prägt die Popwelt wie kaum ein anderer. Ob Taylor Swifts "Folklore" und "Evermore", Lana del Reys "Norman Fucking Rockwell!" und "Chemtrails over the Country Club" oder Lordes "Melodrama“ und ihr bald erscheinendes Album "Solar Power" – Antonoff arbeitet als Produzent und Songwriter für die größten Stars. Mit seinem dritten eigenen Album "Take The Sadness Out Of Saturday Night" nähert er sich auch als Interpret dem Pop-Olymp.
Im Kontrast zu den beiden Vorgängeralben "Strange Desire" und "Gone Now", die, mit schwarz-weißen Covern, von Traumaverarbeitung geprägt waren, kennzeichnet das neue, violett gefärbte Album der Indierockband aus New York die bittersüße Schwelle zu einer positiven Zukunft. "Das Bild des Albums ist für mich eine Tür", erzählt Antonoff bei einer Pressekonferenz, "Ich stehe an der Tür, und da ist all die Hoffnung und Freude auf der anderen Seite, aber ich habe mein ganzes Gepäck dabei und komme nicht durch. Dabei kam mir die Idee von Samstagnacht, weil da theoretisch alles möglich ist. Allerdings ist das Bild für manche auch von Trauer erfüllt. So ist der Gedanke des Albums: Was passiert, wenn du die Trauer aus der Samstagnacht herausnimmst?".
Auf der Suche nach Antworten schichtet das Album berauschende und bedachte Texturen. Anders als die eher elektronisch gespickten, verstärkt solo eingespielten Vorgängeralben versprüht die neue Platte über weite Strecken die raue Energie einer Live-Rockband. Im Angesicht der Pandemie begriffen die Bandmitglieder die Chance, in einem Raum zusammenzuspielen, als Ausnahmemöglichkeit. Dem New York Magazine erzählte Antonoff von den Anweisungen, die er der Band gab: "Spielt, als würden eure Köpfe brennen, spielt als wäre es euer letzter Tag auf Erden!".
Bevor das Album aufdreht, pointiert das Intro "91" die charakteristische Schwebe zwischen Euphorie und Melancholie. "I'm here / But I'm not" singt Antonoff viele Male über St. Vincents erhabenes Arrangement dicht fortschreitender Streicher. In drei Strophen, die der Sänger mit der britischen Schriftstellerin Zadie Smith geschrieben hat, entwickelt sich ein spannungsreiches Passage-Gedicht, das aus der kindlichen Erinnerung des Golfkrieg-Fernsehens in eine gospelhaft ausfransende Hoffnungsvision mündet. Mit großer Geste verspricht das Album viel.
Mit unerwarteter Wucht löst es viel ein. Als zentrales Song-Paar bündeln zwei Bar-Rock-Stampfer das ambivalente Leitmotiv des Durchgangs. "How Dare You Want More" widersetzt sich in einem wilden E-Street-Jam mit Gitarre-Saxophon-Battle der unbegründeten Scham darüber, mehr vom Leben zu wollen. Mit ähnlich breitem Big-Band-Sound und "Let’s Dance"-Bowie-Vibe verzahnt "Stop Making This Hurt" persönliche Schicksale in Volksliedstrophen und zelebriert im packenden Chorus die Erlösungsfantasie, endlich alle Last hinter sich lassen zu können. Über sich hinaus wächst das Lied mit der brillanten Bridge, die den Schmerz als Teil des Lebens und künstlerische Triebfeder begreift: "But if we take the sadness out of Saturday night? / I wonder what we'll be left with, anything worth the fight?".
All die Fragen sammeln sich an einem Ort. Eindrucksvoll lokalisiert das Song-Duo "Chinatown (feat. Bruce Springsteen)" und "45" die leitmotivische Schwelle ganz konkret im Übergang zwischen New York und New Jersey. Dabei reflektieren die Tracks sowohl die Biographie des Sängers, der in New Jersey geboren wurde und jetzt in Brooklyn wohnt, wie auch die Inspiration durch die lokale Musikgeschichte.
"Chinatown“ konzentriert den durchgehenden Springsteen-Einfluss des Albums in einer meisterlichen Liebeserklärung an New Jersey. Angetrieben von einem rhythmischen Sog aus E-Gitarren-Noise, himmelhochjauchzenden Synthies und Streicherverzierungen vertonen Bleachers eine Autofahrt von New York nach New Jersey, die den Springsteen-Sound perfekt in die Zukunft führt und die alle Register zieht, als der "Boss" tatsächlich mitsingt. Als Spiegelsong verdichtet die "Nebraska"-Luft schnuppernde Akustik-Powerballade "45" den Weg von New Jersey nach New York in der Metapher einer aus dem Takt geratenen Vinyl-Single.
Um die Glanzlichter von "Take The Sadness Out Of Saturday Night" strahlen die weiteren Tracks mal stärker ("Don't Go Dark", "What'd I Do With All This Faith?"), mal etwas schwächer ("Big Life", "Secret Life", "Strange Behaviour"). Was die Leitfrage angeht, ob Jack Antonoff mit diesem Album letztlich durch die Tür in die nächste Phase seines Lebens eintreten konnte, sagt der Sänger dem NME: "Ich weiß nicht, ob ich die Tür eingetreten habe. Aber, Junge, ich will es tun – und ich habe mehr Hoffnung als je zuvor". Auf jeden Fall spannend, wie die Songs auf der anderen Seite klingen werden.
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