laut.de-Kritik
Alliterationswahn in der Rave-Hölle.
Review von Manuel BergerWer sagt denn das? Also dass Deichkind ohne Ferris MC nicht genauso viel Spaß machen wie mit ihm? Während Sascha Reimann sich auf "Wahrscheinlich Nie Wieder Vielleicht" als Rocker versuchte, schraubten seine Ex-Kollegen an neuen Dada-Techno-Rap-Hymnen und streichen jetzt die Belohnung dafür ein. Sie feiern die gigantischste Party Deutschlands.
Auch dank der jetzt schon ikonischen Vorab-Videos mit Lars Eidinger birgt "Wer Sagt Denn Das?" an mehreren Stellen Kultpotenzial. Zumal Deichkind erneut den Zeitgeist beim Schopfe packen und auf prollige Einfachheit herunterbrechen. Migration? Wird als Festival-Allegorie "Bude Voll People" verwurstet. "Sie lottern auf Hockern mit zu wenig Tabak und Schotter / Die Bullen durchsuchen die Zelte von allen." AfD? Kriegt einen Saufsong, in dem Rammsteins Propagandaminister Till Lindemann das Tausendjährige Reich des Bieres ausruft ("1000 Jahre Bier"). Komsumwahnsinn? Quasi das ganze Album. "Ich häng' an Dingen, springe über Dinge / Stapel' Dinge über Dinge / Brauche diese Dinge dringend", fraglos: "Kein Ding, Digga, das Ding hat Swing!"
Deichkind bedienen sich am eigenen Vermächtnis, entwerfen für "Keine Party" ganz einfach die Antithese zu "Remmidemmi". "Deine Eltern sind auf einem Tennisturnier / Du machst eine Party, wie nett von dir / Schmeiß die Möbel aus dem Fenster, wir brauchen Platz zum Dancen", nölten sie einst. Heute heißt das: "Schluss mit Remmidemmi, das hört jetzt hier sofort auf! / Warum muss man denn gleich feiern, wenn die Eltern mal nicht da sind? / Möbel aus dem Fenster, das ist doch blanker Wahnsinn!" Die Melodielinie und den stampfenden Techno-Beat des Erstschlags zitieren sie gleich noch mit, schnörkeln aber abwechslungsreiche Percussion drumherum. Das Krawallkollektiv ist (musikalisch) erwachsen geworden. Der Absturzstimmung tut das keinen Abbruch. Und unterm Strich steht hier ganz einfach der in allen Belangen deutlich bessere Song.
Den Edding im Anschlag schmieren die Hamburger nicht nur am eigenen, sondern auch auf fremden Gesichtern rum. Für "Bude Voll People" sperren sie Marilyn Mansons "The Beautiful People" in die Rave-Hölle. Direkt im Anschluss drehen sie beschwingt Kraftwerk auf links. "Sind wir schon auf der Autobahn?" Tut, tut! Später gibts in "Powerbank" noch mehr davon. Und für die nach Chips müffelnde Netflix'n'Chill-Hymne "Cliffhänger" dichten sie zu verträumtem 90s-EDM-Sound Richard Sanderson eine neue "Reality": "Streams are my reality!"
Gerade als das Album in der Mitte wegen des hektischen Trap-Fillers "Gewinne Gewinne" und der ironischerweise passend zum Text eher lahmen "Party 2" etwas durchhängt, kommt "Richtig Gutes Zeug" und läutet staubtrocken die Endrunde ein. Wie sich Kryptik Joe und Porky hier die Punchlines zuwerfen ist ... nun ja, richtig gutes Zeug. Gemeinsam mit Gastblödler Olli Schulz pressen Deichkind mit "Quasi" noch einen letzten Groove-Banger aus dem Aluhut, dann ist leider endgültig die Luft raus. Die Scooter-Nummer "Sonate In F-Doll" erreicht mit seiner simplen Drop-Dynamik B-Seiten-Niveau und sorgt höchstens noch mit der dank Thomas Cook-Insolvenz (zwei Tage vor Albumrelease) ungeplant komischen Zeile "Urlaub gibts bei Neckermann" für Wallungen. Ein an Marsimoto erinnerndes Mystery-Skit ("Ich Bin Ein Geist") und das gen Bilderbuch schielende Schlussdoppel "Alles Außer Sunshine" / "Wo's Das Feuer?" sind kaum mehr als chillige Fragmente, Autotune-Massaker inklusive. Hätte es nicht gebraucht.
In ihren besten Momenten bieten Deichkind hervorragend produzierte Unterhaltungsmusik mit Texten zwischen infantilem Slapstick-Humor und subtil eingearbeiteter Intellektualität. "Wer Sagt Denn Das?" bildet da keine Ausnahme und ergänzt nahtlos die Diskographie. Wenn Wort und Beat perfekt zusammenspielen, die beiden MCs in ihren herrlich smoothen Flow verfallen und die bei allem Dadaismus und Alliterationswahn meist scharf geschliffenen Textpfeile fliegen, kommen selbst Partymuffel aus dem Quark. Motto: "Kann ich eigentlich nicht bring'n, ey. Obwohl, ah, na gut einmal noch!" 1000 Jahre Deichkind, Diggi!
7 Kommentare mit 7 Antworten
Janz famose Partyplatte. Wird in meene Wohnung tagsüber jepumpt.
Auf Quasi ist auch Jan Böhmermann gleich noch mit dabei:D
Würde auch noch Ferris MC dazuzählen. Gefühlt klingt das auch nach Heinz Strunk in dem Track
Danke für die Warnung.
Ein Album irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Starke Beats gehen Hand in Hand mit abgedrehten Texten (typisch Deichkind) nur leider wie in der Kritik bereits erwähnt sehr viel Filler Material gegen Ende hin. Trotzdem vermutlich das Beste Deichkind Album seit „Befehl von ganz unten.“ Stellenweise sogar besser. Verdiente vier Sterne!
Ist halt wie ein Burger von McD. Weisste was du kriegst. (schlechte Blutwerte, zum beispiel.)
So, nach eingängigem Studium nun etwa so lustig und fresh wie die Comedy-AG im Gymnasium.
Klar kommt nix auch nur ansatzweise an die Kreativität, die Vielfalt und den Witz der ersten beiden Platten ran. Daß hier teilweise aber wirklich gute Textzeilen dabei sind, bringt mich erst recht darauf, wie öde hier die musikalische Untermalung ist. Ist halt alles sehr auf Nummer Sicher und hört sich nach Preset-Beats an.
Jemand wie Buddy würde Deichkind wirklich guttun, der mal etwas Grooveverständnis hat und komponieren kann.
Wäre kompostieren hier eigentlich nicht viel besser?
Gruß
SP
Badumm-Tsss! Da. Beat. Bitteschön!