laut.de-Kritik
No Sleep Till Plowdiw!
Review von Yan VogelDevin Townsend ist nicht als Leisetreter verschrien. Seine musikalische Auffassungsgabe scheint angesichts des Outputs in den vergangenen Jahren grenzenlos. Dabei definierten gerade seine frühen Soloalben den Sound, den er in den verschiedenen Phasen seiner Karriere ausdifferenzierte.
Hier sticht vor allem sein Solodebüt "Ocean Machine-Biomech" hervor. Trotz des futuristisch anmutenden Titels heißen die lyrischen Leitthemen Schmerz, Verlust und Loslassen. Dieses Coming Of Age-Album nahm eine Vorlaufzeit von mehreren Jahren in Anspruch, weswegen bereits hier sämtliche Trademarks vorhanden sind. Multidimensionale Synthies treffen auf Townsends hallig-voluminöse Vocals, eingebettet in gewaltige Arrangements, die von fragiler Athmosphäre bis zur Wall Of Sound reichen. Viele Ohren behaupten gar, dass er diese Messlatte nie wieder erreicht hat und mit "Ocean Machine" einen Klassiker des modernen Prog abgeliefert hat.
Im Herbst 2017 steigt die Party anlässlich des zwanzigsten Jahrestag der Veröffentlichung von "Ocean Machine". Das bulgarische Plowdiw beheimatet ein altes römisches Amphitheater. Den Wahnsinn und das Chaos, aber auch die damit verbundenen Supernova-gleichen Endorphinausschüttungen beschreibt eine Dokumentation anschaulich. In Anlehnung an Motörheads Live-Sternstunde trifft es auch das Rock'n'Roll-Motto "No Sleep Till Plowdiw".
In diesem weiten Rund kredenzt Heavy Devy den begeisterten bis ausrastenden Fans gleich zwei Schmankerl. Den Abend beginnt die Chefglatze mit einem By Request-Set, flankiert von einem Chor und einem Orchester. Optisch zwar ansprechend fällt den klassischen Musikern musikalisch und tontechnisch nur eine Statistenrolle zu, da diese die Riffs und Synthies ausschließlich doppeln und zudem stark in den Hintergrund gemischt sind.
Beeindruckende Kameraeinstellungen sind dennoch garantiert, was Metallica auf ihrem Klassik-Ausflug vorgemacht haben. Das Best-of-Set ist brillant gespielt, belichtet und abgefilmt. Ob Songs jüngeren Datums vom letzten Brecher "Transcendence" oder ältere Stücke von "Infinity", "Terria" oder "Synchestra", ob eher sphärisch-meditative Sternkreuzerfahrten oder eruptive-metallische Sternenzerstörer, die Project-Band um Drum-Tier Ryan Van Poederooyen spielt wie im Rausch und Townsend singt vollgepumpt mit Adrenalin.
Der Kanadier nimmt es im zweiten Teil bei der Komplettaufführung von "Ocean Machine" dermaßen genau, dass an diesem Abend der Originalbassist John 'Squid' Harder die Bühne betritt. Wobei betreten das falsche Wort ist, schafft es der Tieftöner doch mittels Gehhilfe nur gerade bis zu seiner Sitzgelegenheit. Das Werk hat auch zwanzig Jahre später nichts von seiner Strahlkraft eingebüßt. Das Referenzspektrum reicht von alternativen Sounds der Neunziger über brachiale Industrialwalzen der Marke Fear Factory und Meshuggah bis hin zu Siebziger Artrock-Prachtbauten
Townsend schöpft aus dem vollen Fundus seiner Jugendjahre und verbindet hier die Wildheit von Strapping Young Lad auf "Heavy As A Really Heavy Thing" mit emotionalen Tönen vor dem Hintergrund des Todes eines Highschool-Kumpels und der prägenden Findungsphase als Sidekick von Steve Vai. Den Platz auf der Bühne - hier fehlt das Orchester gänzlich - füllt die Band brillant mit einer energetischen Darbietung aus. Vor der imposanten Kulisse beamt die Lichtshow die 75-mimütige emotionale Achterbahnfahrt in eine neue Dimension und das Publikum dankt es mit Ekstase.
Wie häufig nach immensen Kraftakten tituliert Devin dieses Machwerk als Ende einer Ära. Wer den Workaholic kennt, weiß jedoch, dass seine musikalische Reise noch lange währt und viele Wendungen bereit hält. In der Erdumlaufbahn sichteten Teleskope unlängst ein kaffeeschlürfendes Alien ...
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