laut.de-Kritik

Die glanzvolle Rückkehr der Indie Rock Alchemisten.

Review von

Im Grunde kann man jede Rezension zu "Give A Glimpse Of What Yer Not" auf eine knappe Erkenntnis herunterbrechen: Auch mit ihrem vierten Post-Reunion-Album ändern Dinosaur Jr. nichts an ihrem Erfolgsrezept und triumphieren damit erneut über die Konkurrenz. So weit, so erwartbar. Ungleich schwieriger gestaltet sich hingegen die Antwort auf die logische Anschlussfrage: Wieso gelingt Dinosaur Jr. dieser nahezu alchemistische Akt, an dem sich Bands wie AC/DC seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen?

Einen ersten, wenn auch unzureichenden Versuch einer Antwort liefert die Band mit den ersten Tönen des Albums. Feedback, aus dem sich geschrammelte Powerchords erheben, und kurz darauf ist alles da, so frisch, als hörte man die Band zum ersten Mal: J Mascis leicht nöliger Gesang, sein gniedelndes Gitarrenspiel, Lou Barlows stabiler Bass, Murphs dominantes, stoisches Drumming und gegen Ende natürlich eines der unvermeidlichen Mascis-Soli.

Der zugehörige Song, "Goin Down", ist nicht trotzdem, sondern gerade deswegen ein Hit, der unweigerlich am Hörer kleben bleibt. Getoppt wird er darin höchstens noch von der folgenden Single "Tiny", die nach ähnlichem Prinzip funktioniert und die Band angriffslustiger als auf dem Vorgänger "I Bet On Sky" zeigt.

Nach diesem entschlossen stürmischem Anfang entblättern Dinosaur Jr. nahezu jede denkbare Facette ihres Klangkosmos, ohne dabei mechanisch oder uninspiriert zu klingen. "I Walk For Miles" zeigt etwa mühelos all den nachgeborenen Black-Sabbath-Anbetern ihre Grenzen auf, mit einem beinahe Sludge-verdächtigen Riff-Massaker. Vor allem für Freunde derber Gitarrenarbeit sicher der Höhepunkt des Albums, selbst wenn eben dieser Ansatz für das Gelingen von "Give A Glimpse Of What Yer Not" nicht so entscheidend ist, wie der vorab veröffentlichte Solo-Supercut vermuten ließ.

Gerade das Songwriting funktioniert hier perfekt, mit hervorragendem Gespür für den richtigen Aufbau eines Stücks, ganz dem jeweiligen Anforderungen entsprechend. So wartet zwar auch das einfühlsame "Be A Part" mit einem Solo auf, wirklich fesselnd ist jedoch Mascis verspielte Gitarrenarbeit in den Strophen und seine Fähigkeit, als Sänger zugleich ungemein verletzlich und vollkommen abgeklärt zu wirken. Noch sanfter tasten sich die Instrumente an den Hörer in "Knocked Around" heran, während Mascis extra einfühlsam falsettiert. Sogar Murph tauscht an dieser Stelle sein lautstarkes Schlagzeugspiel gegen eine beinahe jazzige Herangehensweise ein, was den gebotenen Melodien noch mehr Raum zur Entfaltung lässt.

Harmonisch sind auch die beiden Songs ausgefallen, die Barlow zum Album beitragen durfte. Besonders "Love Is ..." sorgt mit einem deutlichen 60s-Hippie-Anstrich für einen Kontrapunkt zum klassischen Dinosaur Jr.-Songwriting, obwohl die Band es auch hier nicht verpasst, ein Solo unterzubringen. Etwas kantiger ist der Closer "Left/Right" ausgefallen, der mit groovendem Rhythmus und effektbeladener Gitarre im Refrain arbeitet, ohne dabei die markante Unaufgeregtheit aus den Augen zu verlieren.

Vielleicht liegt auch in eben dieser Mischung aus Emotion und Teilnahmslosigkeit das Geheimrezept, das Dinosaur Jr. auch nach 30 Jahren Bandgeschichte spannend bleiben lässt. Gerade heute sind sie mit diesem paradoxen Ansatz als Vorbild für das immer noch florierende Slackerrevival relevant, innerhalb dessen kaum ein Künstler so zielsicher Langeweile darstellen kann, ohne selbst zu langweilen, wie es "Give A Glimpse Of What Yer Not" vormacht.

Trackliste

  1. 1. Goin Down
  2. 2. Tiny
  3. 3. Be A Part
  4. 4. I Told Everyone
  5. 5. Love Is ...
  6. 6. Good To Know
  7. 7. I Walk For Miles
  8. 8. Lost All Day
  9. 9. Knocked Around
  10. 10. Mirror
  11. 11. Left/Right

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Dinosaur Jr.

Joseph Donald Mascis Junior. Ein Name wie geschaffen für einen Anti-Rockstar. Da bringt dem Dinosaur Jr.-Kopf auch die uncoole Abkürzung J Mascis nichts …

5 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Ist jetzt jede neue Dinosaur-Jr.-Platte eine "Rückkehr"? Ansonsten eine schöne Review! Die Nummer wird sicher geil...

  • Vor 7 Jahren

    Gib mir zwei Sekunden und ich erkenne sofort wer da spielt...Dinosaur Jr. sind da ein perfektes Beispiel. Der Eine würde jetzt sagen die können nichts anderes und wendet sich gelangweilt ab. Ich für meinen Teil meine Sie haben Ihr Können konzentriert und das auf ein erstaunlich konstantes Niveau. J lässt es eher gemütlich angehen und schwelgt gern in Wehmut und verträumter Naivität. Lou der Antikörper zu J gibt den nötigen Drive und darf auch ab und zu mal ans Mikro. Murph ist eher nüchtern und auf den Punkt...Drummerkrankheit halt ;). Die Produktion ist wie gewohnt rau und gibt sich reif gealtert. Neu und frisch eher Nein aber dafür andere Farcetten und mal ein Abschwenk in andere Tonhöhen Ja. Hauptsächlich kuschlig wie gewohnt und fühlt sich einfach gut an -> 5/5 Punkte

  • Vor 7 Jahren

    "Wieso gelingt Dinosaur Jr. dieser nahezu alchemistische Akt, an dem sich Bands wie AC/DC seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen?"

    Nun das AC/DC als zahnloses Rockurgestein durch die Lande tingeln, erschien doch erst mit der Demenzerkrankung von Angus seinem Bruder offensichtlich zu werden. Die 40 Jahre konnte man fast ohne Abbruch Erfolge feiern mit immer dem gleichen Erfolgsrezept. Etwas abgewandelt, falls mal ein Sänger ausfiel. Und nein gelangweilt haben sie nie, selbst jetzt auf ihrer Abschiedsreise nicht. Der einzige Unterschied ist Mascis kann singen, Angus nur Gitarre.

    Zum jetzigen Album, nach dem eher seichten Vorgänger, hab ich so was fetziges nicht erwartet und bin ein bisschen überrascht. Eventuell ist es auch eher meine Wahrnehmung, das erst mit Beyond Dinosour Jr. quasi einer größeren Öffentlichkeit bekannter wurden und sie damit noch sehr frisch klingen. Allerdings fixt mich von den fünf Alben nur Farm so richtig. Deshalb nur 3/5.

    Gruß Speedi

  • Vor 7 Jahren

    Von den drei Neuerscheinungen die ich mir heute angehört habe (DinoJr.+Wild Beasts+Billy Talent) und von denen ich bisher weder gelesen noch etwas gehört habe, muss ich sagen gefällt mir DinoJr birher am Besten. Billy Talent hört sich an wie vieles. Wild Beasts nerven nach gewisser Zeit. Nur DinoJr höre ich jetzt schon eine Stunde und muss sagen, gefällt mir von Rotation zu Rotation besser. Bei der Stimme dachte ich zuerst an Nickelback (soory:) - aber musikalisch kein Vergleich. Fazit: Werde mich mit DinoJr. näher beschäftigen und mir noch Beyond im Vergleich anhören. Als Neuentdeckung gebe ich mal 4/5. Sollte jeder mal gehört haben, der die Bankd wie ich bisher nicht kannte. Schönen Sonntag.

    Gruß Sunny