laut.de-Kritik
Nach Kendrick Lamars Abgang liegt die Label-Zukunft in diesen Händen.
Review von Mirco LeierNachdem die diesjährige XXL-Freshman-Class nach der letztjährigen Nullnummer vorab wieder für reichlich Hype sorgte, schafften es dennoch beinahe alle der Teilnehmner*innen mit ihren Perfomances in Cypher und Freestyle so dermaßen wenig aufzufallen, dass die diesjährige Auswahl als eine der unaufregendsten (wohlgemerkt nicht schlechtesten) in die Geschichte des Magazins eingehen könnte.
Die einzige Stimme, die aus dieser monotonen Masse der Mittelmäßigkeit herausstach, trägt den Namen Doechii. Die Rapperin aus Florida, die nach dem Abgang von Kendrick Lamar, das nächste Kapitel bei Top Dawg Entertainment einleiten soll, traute sich aufzufallen und ließ ihre Klassenkamerad*innen sowohl hinsichtlich Charisma als auch Skills mühelos hinter sich. Nun will sie diesen Eindruck mit einer neuen EP festigen. Wer sich fragt, wie man die 24-Jährige anzusprechen hat, bitteschön: "She / Her / Black Bitch".
Das letzte Pronomen dieser Aufzählung steht sinngemäß für die Attitüde der Newcomerin. Wenn ihre erste EP bei TDE nämlich eines deutlich macht, dann, dass sie weder mit Schubladen noch mit einem braven Hallo sagen etwas anzufangen weiß. "Swamp Bitches" tritt rotzfrech die Tür ein. Die Gitarrenloops jaulen müde vor sich hin und drücken unnachgiebig grünen Dunst aus den Boxen. Doch es dauert keine 20 Sekunden bis das erste Mal der Beat und mit ihm Doechiis Stimme switcht - der Song stellt den Fuß aufs Gaspedal. Klingt sie anfangs noch einnehmend und fast schon böse, könnte man nach einer Minute meinen, dass sie sich eben mal Flo Millis Stimmbänder ausgeliehen hat.
Die Frau ist ein vokales Chamäleon. Im Laufe der fünf Songs musste ich mehrmals in die Credits schauen, ob sich inmitten der aufgelisteten Features nicht auch Gastauftritte von Flo Milli, Noname oder gar 070 Shake verstecken. Ein Zeugnis für die artistische Versatilität die Doechii exerziert. Neben dem stark an den Sound der als Gast geladenen Rico Nasty angelehnten Opener versucht sich Doechii auch an wildem Miami Bass ("Bitch I'm Nice"), verspieltem Boom Bap ("This Bitch Matters") und verträumtem, tanzbaren R'n'B in zweierlei Ausführungen mit "Bitches Be" und "Persuasive". Ein Song wie der vorab veröffentlichte "Crazy", der Hals über Kopf in den Hardcore-Hip Hop abtaucht, fällt bei dieser Aufzählung gar noch hinten über.
Das ergibt ein unaufgeräumtes, wenn auch sehr eindrucksvolles Gesamtbild einer Künstlerin, die unglaubliches Potential birgt, ihren Sound jedoch noch nicht vollends definiert hat. Das Problem an der ganzen Geschichte liegt darin, dass sich inmitten dieser zahlreichen Einflüsse und Doechiis offensichtlichen Spaß am Verstellspiel eine eigene Stimme nicht so recht herauskristallisieren mag.
Keiner der Songs klingt langweilig oder ist per se schlecht, abgesehen von dem wahnsinnigen "Swamp Bitches" mag der Funke allerdings eben nie so recht überspringen. Die unglaublich breit aufgestellte Produktion klingt funktional, aber selten großartig. Auf unaufgeregten Songs wie "This Bitch Matters" wirkt sie dem Charisma der 24-Jährigen sogar ein wenig entgegen, und angesichts des Bombardements an Ideen und hyperaktivem Genre-Hopping bleibt auch lyrisch erstaunlich wenig hängen. Was bei einer so talentierten Rapperin fast schon einer kleinen Tragödie gleichkommt.
Für den Moment würde es ihrer Musik tatsächlich nutzen, wenn sie sich selbst in eine artistische Zwangsjacke stecken würde, um ihre unbändige kreative Energie in einen kohärenten Sound zu kanalisieren. Wenn Doechii diesen dann erst mal mit Instrumentals abrundet, die ihrer strahlenden Persönlichkeit ebenbürtig sind, dürften sich die Sorgen des TDE-Chefs Top Dawg, was die Zukunft seines Labels angeht, in Luft auflösen.
1 Kommentar
Gibt ja sonst noch Schoolboy Q auch wenn der lieber Golf spielt als Musik zu machen.