laut.de-Kritik

Dunkle Gedanken und musikalische Poesie.

Review von

Mit 16 Jahren steht Earl Sweatshirt mit dem Rap-Kollektiv Odd Future rund um Tyler The Creator und Frank Ocean erstmals im Rampenlicht. Während die Gruppe damals noch mit ihren fäkalen, gewaltandrohenden und homophoben Songtexten für Aufruhr sorgten, schämt sich der 29-jährige Rapper heutzutage für seinen damaligen jugendlichen Leichtsinn. Auf "Voir Dire" verbündet er sich mit dem legendären Produzenten The Alchemist und rappt über seine Vaterschaft, seinen innigen Kampf mit Depressionen und Drogenmissbrauch und seine Herkunft.

Es ist kein Zufall, dass Earl Sweatshirt und The Alchemist für "Voir Dire" zusammengefunden haben. Schon auf früheren Songs wie "E.Coli" oder "Loose Change" überzeugte das Duo. The Alchemist, der bekannt ist für seine sample-lastigen, harten aber detaillierten Beats, gibt Earl genau das, was er braucht. Bereits auf "Some Rap Songs", dem ersten Album nach der Odd Future Trennung, bewies er, wie gut sein obskurer Flow und die verschachtelten Reime auf Soul- und Jazz-inspirierten Produktionen passen.

"Voir Dire" erschien in einer Version mit NFT bereits am 25. August auf der Plattform Gala Music. Mit dem späteren Release auf Streaming Plattformen wurden nun drei neue Tracks veröffentlicht, die zwei Features mit Vince Staples beinhalten.

Genauso entspannt wie im Musikvideo der zuvor veröffentlichten Single "The Caliphate", zeigt sich Earl auch auf dem restlichen Album. Geschickt kombiniert der Rapper seinen schläfrigen und murmelnden Flow mit seinen harten, überdachten Passagen, wobei die Wortspiele und Reime beim ersten Hören durchaus an einem vorbeigehen können.

Die gesamte Klanglandschaft gibt dem Hörer das Gefühl durch einen dichten Nebel zu spazieren während Earl verworrene, aber sehr bildhafte Geschichten erzählt. "Keep them heifers off ya doorstep / Geese feathers under foreheads / Tempur-Pedic with the reaper / got to know Death" steigt er im ersten Track "100 High Street" ein und spielt darauf an, unerwünschte Gäste von sich fernzuhalten, aber gleichzeitig seinen Komfort im Tod zu suchen. Die zurückhaltende und heiteren Beats und Earls seriöse Erzählungen stehen immer spürbar im Kontrast zueinander. Auf "Vin Skully" etwa rappt Earl über einen skurrilen Gitarrenloop: "I remember the ghost inside the crib / Hosin' down the problem with gin and tonic / How to stay afloat in a bottomless pit / The trick is to stop fallin' / Only option to start with a step, bet". Ein Part, der das Gefühl der Ausweglosigkeit und Depression vermittelt, aber trotzdem durch den musikalischen Unterton nicht völlig ausweglos klingt.

Persönlicher wird es auch im Track "27 Braids", in dem Earl zu einem sanften psychedelischen Rock-Loop über den Tod seines Vaters reflektiert. Auf "Mac Deuce" geht er auch auf die problematische Beziehung zwischen Berühmtheit und Drogenmissbrauch ein und meint womöglich den tragischen Tod seines Freundes Mac Miller: "That's what walkin' the plank do / Don't be shocked I couldn't save you from your thoughts or what the fame do / From the sharks and what the fangs do / Or from your heart and what the pain do". Auf dem letzten Track "Free The Ruler" erwähnt Earl die schwierige Beziehung mit seinem Vater, die Wirklichkeitsflucht durch Alkoholismus, und weist auf Konflikte im Elternhaus hin. Der Rapper schreckt nicht davor zurück, über seine internen Sorgen zu erzählen, und wickelt diese in für seine Art typisch verwobene und hypnotisierende Reime ein.

Die Features von MIKE auf "Sentry" sowie Vince Staples auf "Mancala" und "The Caliphate" sind knapp, jedoch setzen sie glänzende und harmonisierende Akzente. Durch Earls abstrakte und komplexe Erzählweise sowie seine gleichzeitig monotone und sorglose Stimme hinterlässt das Album einen unübersichtlichen Eindruck. Durch die kurze Spieldauer des Albums und die vielen kreativen und ästhetischen Momente wiegen diese Macken aber nicht allzu schwer. Earl Sweatshirt bietet auf "Voir Dire" einen tiefen, teilweise deprimierenden, aber auch mitreißenden Einblick in seine Gedanken und kreiert mit The Alchemist ein träumerisches und einzigartiges Ambiente.

Trackliste

  1. 1. 100 High Street
  2. 2. Vin Skully
  3. 3. Sentry (feat. Mike)
  4. 4. Heat Check
  5. 5. Mancala (feat. Vince Staples)
  6. 6. 27 Braids
  7. 7. Mac Deuce
  8. 8. Sirius Blac
  9. 9. Dead Zone
  10. 10. The Caliphate (feat. Vince Staples)
  11. 11. Free the Ruler

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