laut.de-Kritik

Die Zwillingsschwestern emanzipieren sich.

Review von

Ibeyi mit den Zwillingen Lisa-Kaindé und Naomi Díaz lieferten bereits 2015 ein beachtenswertes Album ab. Auf ihrem Debüt trafen Einflüsse aus Yorùbá-Kultur, Jazz und Soul auf elektronische Beats und geschickt ausgearbeitete Brüche, was die Platte zu einem mannigfaltigen Stück Pop machte. Thematisch setzte sich das Album vor allem mit der persönlichen Geschichte der beiden auseinander: mit dem Tod ihres Vaters Miguel Díaz (Buena Vista Social Club) oder dem spirituellen Einfluss ihrer Mutter.

Ihr zweites Album "Ash" will mehr. Zwar bilden auch hier konkrete Ereignisse teilweise die Basis für die Songtexte, die Schwestern ordnen diese aber stets in einen größeren Kontext ein. So erzählt Lisa-Kaindé in "Deathless" sehr direkt von einer Geschichte, die ihr im Alter von 16 Jahren in Paris widerfahren ist, als ein Polizist sie durch racial profiling als Dealerin zu erkennen glaubte: "He said, he said / 'You're not clean / You might deal / All the same with that skin.'"

Ibey emanzipieren sich: Sie wollen nicht als nettes Pop-Duo, sondern als politische, selbstbewusste und freie Frauen wahrgenommen werden. Dies legt natürlich Vergleiche mit Vorreiterinnen wie Solange oder Beyoncé nahe. Doch wo Solange letztes Jahr noch ihren Vater über die Härte der Rassentrennung in den USA und ihre Mutter über Stolz und Liebe zu ihrer Kultur erzählen lässt, schleppen Ibeyi gleich Michelle Obama an. "No Man Is Big Enough For My Arms" enthält Samples einer Rede, die die damalige First Lady hielt, nachdem bekannt wurde, dass ein damaliger Präsidentschaftskandidat und späterer Wahlsieger ein hemmungsloser Sexist ist: "The matter of any society is how it treats its women and girls."

Diese Fülle an positiven Botschaften für Selbstbestimmung unterwerfen die Díaz-Schwestern dann jedoch einer plumpen, beinahe kitschigen Metaphorik: Irgendwas auf der Welt läuft falsch, können wir einfach so weitermachen - oder sind wir sowieso alle todgeweiht und kurz davor, zu Staub zu zerfallen ("Ash")? Hier agieren Ibeyi schlicht zu forsch, um wirklich ein zwar dystopisches und differenziert kritisches, aber dennoch alles verbindendes Pop-Album abzuliefern.

Der stärkste Teil des Albums spielt sich kurz nach der Hälfte ab. "Waves", ein minimalistisch gehaltenes Stück, in dem sich Naomi Díaz' angenehm angekratzte Stimme, ein orgelartiges Instrument und Stille abwechseln, macht den Anfang. Darauf folgt mit dem sechseinhalbminütigen "Transmission/Michaelion" das Herzstück des Albums.

Ibeyi spielen dabei nur so mit Emotionen, zerstückeln die Struktur hier und da geschickt, wenn das Stück wuchtig mit Gospelchor ins Haus fällt, dann auflockert und unkalkulierbar in verschiedenste Richtungen mäandert. Mit "Me Voy" steht dann noch ein kleines, dialektisches Highlight am Schluss, weil Beat und eingesetzte Sounds klar an nach wie vor mit Machismen überfüllten Reggaeton erinnern, was hier mit einem starken Part der Rapperin Mala Rodriguez gebrochen wird.

Auch wenn "Ash" letztlich ästhetisch und erzählerisch nicht mit "A Seat At The Table" oder "Lemonade" in einer Reihe steht, gehört es dennoch zu den wichtigeren Alben im Jahr des politischen Pop. Weil Lisa-Kaindé und Naomi Díaz auf eindringliche Art aufbegehren - und nicht vergessen, dabei etwas aufdringlich zu sein.

Trackliste

  1. 1. I Carried This For Years
  2. 2. Away Away
  3. 3. Deathless
  4. 4. I Wanna Be Like You
  5. 5. No Man Is Big Enough For My Arms
  6. 6. Valé
  7. 7. Waves
  8. 8. Transmission/Michaelion
  9. 9. Me Voy
  10. 10. When Will I Learn
  11. 11. Numb
  12. 12. Ash

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