laut.de-Kritik

Yoruba-Kultur trifft kubanische Rhythmen und Electronica.

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Richard Russell, der Chef von XL Recordings, produzierte bisher nur eine Handvoll, mit Bedacht ausgewählte Alben: die letzten Platten der verstorbenen Musiker Gil Scott-Heron und Bobby Womack, das Benefizprojekt DRC Music und Damon Albarns "Everyday Robots". Seine neuen Schützlinge fallen aus der Reihe großer Namen heraus: Die 20-jährigen Zwillinge Lisa-Kaindé und Naomi Díaz aka Ibeyi verblüfften den Produzenten mit einer YouTube-Aufnahme von "Mama Says" so sehr, dass er sie aus Paris in sein Londoner Studio holte.

Was Russell faszinierte, bezeichnen die Schwestern als "contemporary negro spirituals". Grob gesagt, verflechten sie Yorùbá-Kultur, die ihren Ursprung in Nigeria hat und mit der Sklaverei nach Kuba gekommen ist, kubanische Rhythmen und minimalistische europäische Elektronik.

Die Musik von Ibeyi ist eng mit der Biografie der Schwestern verknüpft: Als Töchter des kubanischen Perkussionisten Miguel "Anga" Díaz vom Buena Vista Social Club und seiner französisch-venezuelischen Frau werden sie in Paris geboren und verbringen dort den Großteil ihres Lebens. Immer wieder reisen sie aber auch zum Familienanwesen in Kuba, in ihre zweite Heimat.

Als sie elf Jahre alt waren, verstarb ihr Vater plötzlich. Um ihren Schmerz zu verarbeiten, begannen sie mit dem Musizieren: Naomi erzählt, sie habe am Tag darauf angefangen, das Cajón ihres Vaters zu spielen, das Instrument, mit dem sie bei Songs wie "Mama Says" oder "Think Of You" zusammen mit Lisas Piano-Spiel hypnotisiert. Letzterer thematisiert den Tod ihres Vaters: "We hear laughter and we think of you / We walk on rhythm and we think of you."

Genauso bedeutend ist der Einfluss ihrer Mutter: Sie sang von Anfang an gemeinsam mit ihren Töchtern traditionelle Spirituals. Im Yorùbá-Opener "Eleggua" rufen Ibeyi a cappella und unisono den gleichnamigen Orisha der Kommunikation an. So sei es typisch für jede Yorùbá-Zeremonie, erzählen die Zwillinge.

Die moderne Komponente leitet sich aus der anderen musikalischen Sozialisation der beiden ab: Als Lieblingsmusiker nennen sie verschiedene Künstler, darunter Nina Simone, James Blake, Jay Electronica oder Kendrick Lamar. Besonders die aufeinander folgenden Stücke "Ghosts" und "River" durchziehen Bässe, Beats und Brüche, wie man sie eher in Electronica-Ecken erwartet. In "Weatherman" dominieren die Synthie-Spielereien komplett. Gleichzeitig vereint sich in Lisa-Kaindés Gesang Rituelles mit Soul und Jazz.

Die Lyrics passen zum intensiven Klangerlebnis. Die Zwillinge lassen in ihr Innerstes blicken: Sie singen von Liebe und Lebensfreude, aber auch von der Trauer über den Verlust ihrer älteren Schwester: "Why did fate make you go away? / Will we meet in heaven, meet in heaven? / Yanira, Yanira."

Ihre Verwurzelung in westlicher und der Yorùbá-Kultur, die in wiederkehrenden Anrufen von Gottheiten oder dem fließenden Wechsel von Englisch und Französisch zu Yoruba durchschimmert, erlaubt Ibeyi den zwanglosen, natürlichen Umgang mit den verschiedenen Elementen. Deren Verbindung ist von Spiritualität durchdrungen, die die kühle Elektronik und packenden Percussions in Songs wie "Oya" genauso transportieren wie der feierlich-ausgedehnte Gesang.

"Ibeyi" zieht seine Hörer ab dem ersten Ton in den Bann, schlägt mit seiner breiten musikalischen und inhaltlichen Palette neue Wege ein und beeindruckt, besonders für ein Debütalbum, mit stilistischer Eigenständigkeit. Gut möglich, dass Ibeyi ähnliche Begeisterungsstürme wie ihre jungen Labelkollegen namens FKA Twigs, King Krule oder SBTRKT auslösen. Verdient haben sie es.

Trackliste

  1. 1. Eleggua
  2. 2. Oya
  3. 3. Ghosts
  4. 4. River
  5. 5. Think Of You
  6. 6. Behind The Curtain
  7. 7. Stranger/Lover
  8. 8. Mama Says
  9. 9. Weatherman
  10. 10. Faithful
  11. 11. Yanira
  12. 12. Singles
  13. 13. Ibeyi

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