laut.de-Kritik

Mit 75 noch mal in den Moshpit? Muss nicht sein.

Review von

Er höre gerne den Vögeln zu und füttere die Enten. Um mit der Rock'n'Roll-Gang mitzuhalten, fehle ihm mittlerweile die Energie, erzählte Iggy Pop 2019 in Interviews. Für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als habe sich der Detroiter tatsächlich mit den gängigen Freizeitvergnügungen seiner Alterskohorte angefreundet. Passend dazu veröffentlichte er das Album "Free", dessen eigenartige wie weltabgewandte Ambient-Soundscapes diesen Gemütszustand perfekt widerspiegelten.

Ab März 2020 dehnte sich das Zeitfenster für die Tierfütterung allerdings grotesk weit aus, und es spiegelt letztlich den rastlosen Geist des Mannes wider, dass ihn irgendwann doch wieder die Lust am Gebrüll kitzelte. Im Gegensatz zu seinen letzten Platten verzichtet Pop auf Experimente und verlässt sich stattdessen ganz auf den Masterplan seines Produzenten und Gitarristen Andrew Watt, der seinem Klienten den ureigenen Trademark-Sound verpassen wollte. So liefe das heute, er lehne sich zurück und schaue sich in Ruhe die Angebote der jungen Leute an, kommentierte Iggy diese Arbeitsweise uneitel in der New York Times.

Problem: Sein Trademark-Sound ist legendär und reicht bis in die frühen 1970er Jahre zurück. Wie kürzlich bei Ozzy Osbourne scheitert Watt auch mit "Every Loser" am Versuch, mit alten Mitteln krampfhaft das Rad neu zu erfinden. Es fehlt die Vision abseits des nachvollziehbaren Wunsches, einer Ikone noch einmal Aufmerksamkeit für seine Pioniertaten zu bescheren. Dazu benötigt es eben noch gute Songs.

"Frenzy" empfängt den Hörer mit altbackenem Riffing und einem auf größtmöglichen Effekt zielenden Breitwandsound. Dazu kredenzt Iggy die pubertärsten Schimpfworte, die ihm nach zwei Minuten eingefallen sind - also ungefähr so, wie die wiedervereinigten Stooges 2007 ihr enttäuschendes Album-Comeback "The Weirdness" einläuteten. Wenngleich damals Produzent Steve Albini wenigstens noch für genug Dreck im Sound sorgte und nicht jede Spur auf Hochglanz polierte.

"Every Loser" ist dagegen eine High-End-Produktion made in Hollywood. Daran erinnert sogar Iggy selbst, wenn auch unfreiwillig, wenn er sich in "Comments" Social Media und der ausgeprägten Sehnsucht nach Ruhm annimmt und die Zeile schmettert: "Sell your face to Hollywood / They're payin good, payin good." Man verdrückt eine Träne dabei, denn auch Pop verkauft sich hier unter Wert, indem er eine hochprominente Nostalgietruppe aus der City Of Angels engagierte. Duff McKagan (Guns N' Roses), Chad Smith (Red Hot Chili Peppers), Josh Klinghoffer (Ex-Red Hot Chili Peppers) sowie Dave Navarro und Eric Avery (Jane's Addiction), sie alle freuen sich über die großzügige Beachtung. Immerhin, für Iggy schließt sich damit ein Kreis, macht er nun doch gemeinsame Sache mit lauter Leuten, gegen deren Popularität im Rockgeschäft er 1993 als altes Eisen mit "American Caesar" noch mit vollem Körpereinsatz ankämpfen musste.

"Strung Out Johnny" versöhnt gleich wieder: Mit New Wave-Anklängen und angezogener Handbremse entfaltet sich Iggys Stimme viel besser. Die "Come As You Are"-Verbeugung im Sound des Eröffnungsriffs kommt ebenso angenehm wie Klinghoffers Piano-Parts im Refrain. Diese eröffnen auch das folgende "New Atlantis", das Iggy im Spoken-Word-Duktus begleitet, immer ein sicherer Gänsehaut-Moment. Auch im weiteren Verlauf hält sich seine L.A.-Bratzbande an die gebotene Zurückhaltung, die ein Liebeslied an Miami, das den Nimbus des Paradieses in Zeiten des Klimawandels zu verlieren droht, einfordert.

"Modern Day Rip Off" - der Name ist Programm - soll die guten alten Punkrock-Zeiten der Stooges aufleben lassen. An sympathischer Selbstironie mangelt es nicht ("I ran out of blow, a long time ago / I can't smoke a J, all my ducks fly away"), aber besonders bei diesen schnellen Songs klingt Iggy Pop so, wie es eben klingt, wenn ein 75-Jähriger versucht, mit der Rock'n'Roll-Gang mitzuhalten. Josh Homme wusste eben ganz genau, wieso er Iggy auf "Post Pop Depression" von sämtlichen Macho-Allüren fern hielt. Watt meint es sicher auch gut mit Iggy, erreicht damit aber oft das Gegenteil.

Verstörend auch, da seine am breitbeinigen US-Hardrock ausgerichteten Platten wie "Beat 'Em Up" (2001) und "Instinct" (1988) wahrlich nicht zu den Highlights seiner Diskographie zählen. Auf "Neo Punk" sitzt ihm Travis Barker wie ein Spürhund im Genick, Atempause ausgeschlossen. Es mag für alle Beteiligten ein Riesenspaß im Studio gewesen sein. Doch vor der heimischen Anlage bereiten melancholische Songs wie die Akustikballade "Morning Show" weitaus mehr Vergnügen. Man lauscht dem Moshpit-gegerbten Apologeten des Punkrock bei seinen Weisheiten, etwa wenn er sich beim Blick in den Spiegel ertappt: "The hurt that's in my face / Didn't come from outer space" (Spitzenorgel von Klinghoffer und Top-Background-Vocals auch).

Auf "All The Way Down" darf Pearl Jam-Gitarrist Stone Gossard das "T.V. Eye"-Riff ummodellieren, und von den letzten Stücken bleibt vor allem die Tragik in Erinnerung, dass Taylor Hawkins an den Drums saß. Im abschließenden "The Regency" bereitet der verstorbene Foo Fighters-Drummer gemeinsam mit Navarro und Chris Chaney den Boden für Iggys übliche Fuck-Tiraden, die im Wokeness-Zeitalter neben Zeilen wie "a beautiful whore of a city / where a man can be himself" auch kritisch gesehen werden. Dem Mann deshalb "small dick energy" vorzuwerfen, wäre selbstverständlich grober Unsinn, zu selbstironisch und für gesellschaftliche Veränderungen empfänglich präsentiert er sich im Herbst seiner Karriere. Und stellte vielleicht in weiser Voraussicht gleich am Anfang der Platte klar: "Got a dick and two balls and that's more than you all".

Trackliste

  1. 1. Frenzy
  2. 2. Strung Out Johnny
  3. 3. New Atlantis
  4. 4. Modern Day Rip Off
  5. 5. Morning Show
  6. 6. The News For Andy
  7. 7. Neo Punk
  8. 8. All The Way Down
  9. 9. Comments
  10. 10. My Animus Interlude
  11. 11. The Regency

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5 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Der Vergleich mit Ozzy ist relevant, weil Andrew Watt seine Finger im Spiel hat und jeweils ein Rock-Opa nochmal abgefeiert werden soll. Die Ozzy-Alben scheitern aber an dem Gefühl, dass der eigentliche Protagonist eher nur ein Gast ist (teils langatmige, zerstückelt wirkende Kompositionen mit stark bearbeiteter Stimme, die oft nicht der Fokus ist), wohingegen Iggys imposante Leistung hier die energiegeladenen Songs erst recht hörenswert macht. Zudem gibt es eine gute Balance zwischen rotzig-hartem Rock und eher artrockigen Nummern wie auf "Post Pop Depression", welches sich hier und da ja den Vorwurf zu großer Homogenität gefallen lassen musste.

    Die für meinen Geschmack zu vielen involvierten Köche hört man dem Album erfreulich wenig an. Lockere 4 von mir, ein frühes Highlight in diesem Jahr.

  • Vor einem Jahr

    Ja, bei den schnellen Stücken hält die Stimme nicht mehr ganz mit und ja, die Produktion ist definitiv etwas zu glatt, geht aber trotzdem ganz gut ab - für Iggys Verhältnisse also gehobener Durchschnitt, 3,5/5. Verglichen mit den von euch gehypten Anti-Flag immer noch der Voll-Burner...

  • Vor einem Jahr

    Ziemliche Ware vom Band. Klar: Hochkarätige Namen und deshalb auch eine super Produktion, die aber schon ins aal-glatte geht. Mich stört es, dass da ein paar super Musiker/Innen ins Studio gehen, ihre Riffs und Takes einspielen, dann jagt Iggy sein Gerotze darüber und das Ganze wird als innovativ verkauft. Nochmal: Die Leute sind alle top und spielen ganz doll, aber der Funken geht auf mich nicht wirklich über. Da gab es in letzter Zeit viel innovativere Rockplatten, die nicht die Aufmerksamkeit kriegen. 2/3, weil ich von Jemandem wie Iggy Pop mehr erwarte. Das ist für ihn kein Ding, eine 50.000 Dollar Produktion in Auftrag zu geben, von daher.. dafür kann man auch geilere Songs abliefern, und die fehlen hier definitiv. Da bleibt nichts kleben und deshalb wäre das auch verschwendeter Platz im Vinyl-Regal für mich.

  • Vor einem Jahr

    Review mal wieder totaler Bullshit, zig andere „Kritiker“ und auch die Fangemeinde sehen es anders und würdigen das Album entsprechend.

  • Vor einem Jahr

    Noch mal ein verspätetes Lob für die differenziert kritische Review. Ich finde das Album auch eher so okayish bzw. unspektakulär. Da war Post-Pop-Depression um Welten spannender.