laut.de-Kritik

Im Weltraum hört dich niemand spielen.

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Zwei Jahre nachdem "Krieg der Sterne" das Blockbuster-Kino auf eine neue Stufe gehoben hatte, erschien mit dem bahnbrechenden extrasolaren Horrorfilm "Alien" das Gegenprogramm zum eher naiven Ansatz des Weltraummärchens. Ridley Scotts beklemmendes Werk begleitet eine Gruppe Arbeiter um Ellen Ripley (Sigourney Weaver) an Bord der Nostromo, die auf ein todbringendes Wesen im All stößt. Jerry Goldsmith gestaltete dazu passend einen bedrohlichen Soundtrack voller Verfremdungen, der sich von der symphonischen Renaissance eines John Williams deutlich abgrenzte.

Zu dem Zeitpunkt hatte Ridley Scott mit dem Historiendrama "Die Duellisten" erst einen Spielfilm realisiert. Lionel Newman, damaliger Leiter der Musikabteilung von 20th Century Fox und später Dirigent bei den Aufnahmen des Soundtracks, empfahl dem Regisseur den erfahrenen Komponisten. Jerry Goldsmith hatte bereits zehn Oscarnominierungen für sich verbucht - darunter für Klassiker wie "Planet der Affen", "Patton - Rebell in Uniform" oder "Chinatown". 1977 hatte er die Auszeichnung für seine Musik zum Horrorfilm "Das Omen" eingeheimst.

Ganz bewusst sah sich der Komponist zunächst aus der Publikumsperspektive den "Alien"-Rohschnitt an, der ihm bereits eine Heidenangst eingejagt habe, wie er zugab. Der Cutter Terry Rawlings hatte diesen zur Orientierung mit einem temporären Soundtrack unterlegt, der sich an Goldsmiths Musik zur Filmbiografie "Freud" bediente. Doch Goldsmith hatte eine andere Herangehensweise im Sinn. "Ich stelle mir den Weltraum immer als das große Unbekannte vor", das auch eine romantische Seite habe, erläuterte er. Der Schock sollte sich erst langsam entfalten. "Es kam nicht so gut an", resümierte er.

Goldsmith unterlegte die eröffnenden Weiten des Alls mit dem "Main Title", einem atmosphärischen Meisterstück. Die Streicher setzen einen furchteinflößenden Grundton, doch gerade die Solotrompete fängt markant die Einsamkeit im All ein. Etwa zur Hälfte steigert sich das National Philharmonic Orchestra in einen malerischen Zwischenteil frei jeder Bedrohung hinein, bis der Absturz in grollende Tiefen erfolgt. Ein alternierendes Zwei-Noten-Motiv setzt ein, das analog zu einem Uhrwerk die zerrinnende Zeit abbildet. Es verebbt im kosmischen Raum, während das Dröhnen im Kontrast dazu einengt.

Doch der "Main Title" fehlt im fertigen Film. Ridley Scott verlangte einen Ersatz, den Goldsmith auch umsetzte. Er habe "einen neuen Haupttitel geschrieben, der das Offensichtliche, Unheimliche und Seltsame" eingefangen und allen gefallen habe. "Für den Originaltitel brauchte ich einen Tag, für den Alternativtitel fünf Minuten", fasste es der Komponist prägnant und womöglich eine Spur zu selbstsicher zusammen. Frei von romantischen Einsprengseln ist die bedrohliche Lage für den Raumfrachter Nostromo nun von Beginn an klar. Einzig das Zwei-Noten-Motiv und eine Art Kriegstrommel blieben erhalten.

Von der Endlosigkeit des Raums wechselt Ridley Scott in die klaustrophobischen Gänge der Nostromo. In einem beinahe dokumentarischen Stil begleitet er den Alltag der Crew, die ebenso gut in einem Industrieunternehmen arbeiten könnten. Alle Kabel, Knöpfe und Rohre der fantastischen Sets vermitteln den Eindruck, klar definierbaren Zwecken zu dienen. Und so ist es folgerichtig, dass Soundeffekte einen weitaus größeren Raum einnehmen als Musik im herkömmlichen Sinne. Allgegenwärtig erklingt das Grundrauschen des Raumfrachters und eine breite Palette technischer Geräusche.

Ein als Notruf fehlinterpretiertes Funksignal lotst den Frachter auf einen Planetoiden. "The Landing" setzt trotz bedrohlichen Untertons noch einmal auf symphonische Erhabenheit, bevor drei Besatzungsmitglieder die unwirtliche Oberfläche des Himmelskörpers betreten. Dort herrschen scharfe Winde, die Goldsmith mit einer Shankha erzeugte. Ein indisches Instrument aus einem großen Schneckenhaus, das sich über ein Mundstück spielen lässt. Bei der Erkundung eines Raumschiffwracks fallen zudem die hallenden Effekte auf, welche der Komponist mit einem Echoplex generierte.

Diesen Verzögerungseffekt hatten bereits Miles Davis oder Steve Hackett musikalisch genutzt. Und auch Goldsmith hatte den Tapeloop mit verzögerter Wiedergabe in "Patton" eingebaut, in dem es den militärischen Ruf aus der Vergangenheit symbolisierte. Bei "Alien" dient der Echoeffekt eher als Hinweis auf die bedrohliche Zukunft. Tongewaltig setzt Goldsmith es ein, wenn die Crew auf den skelettierten Piloten trifft ("The Skeleton"), was ebenso wie die hallenden Experimente von "The Passage", "The Terrain" oder "The Craft" erst 1999 auf dem vollständigen Soundtrack erschienen ist.

Am bizarrsten fällt wohl "A New Face" aus. Das Trio entdeckt auf dem Planetoiden ein Nest von Alien-Eiern. Als sich eines zu öffnen beginnt, lehnt sich der von John Hurt gespielte Kane etwas zu neugierig darüber. Der Facehugger, die pfeilschwanzkrebsartige zweite Phase im Lebenszyklus der Kreatur, springt ihm durch das Helmvisier, um sich an seinem Gesicht festzusaugen. Goldsmith ließ dazu eine Harfe spielen, die er mit dem Echoplex derart verfremdete, dass es an Glas und Wasser erinnert. Im Film herrscht erneut Stille. Letztlich erklingt der Effekt nur punktuell wie in "The Alien Planet".

Kane kommt auf die Krankenstation und das Drama nimmt seinen Lauf. Wie sich herausstellt, hat der Facehugger über den oralen Weg Larven in das Besatzungsmitglied gelegt, die nach wenigen Stunden entwickelt sind und sich gewaltsam ihren Weg heraus bahnen. Über Häutungen reift es zum ausgewachsenen Xenomorphen heran. Der Schweizer Künstler HR Giger lieferte mit dem Design ein Meisterstück ab. Mit organischen und mechanischen Elementen, Merkmalen von Insekten und Reptilien, einem Schlundkiefer und ohne sichtbare Augen triggert es ein Arsenal an Urängsten.

Um die radikale Fremdartigkeit des Aliens einzufangen, kombinierte Goldsmith sein Orchester mit exotischen Instrumenten. In dissonanten Stücken wie "Face Hugger" setzte er auf das Didgeridoo und den Serpent. Das damals in der westlichen Welt noch wenig bekannte Instrument der Aborigines reflektiert die reptilienhafte Gestalt des Widersachers, indem es regelrecht eine Klapperschlange zu imitieren scheint. Im Falle des historischen Blechblasinstruments Serpent fällt bereits die schlangenförmig gewundene Form ins Auge. Beide Instrumente wirbeln aggressiv umeinander.

Immer wenn eines der Entwicklungsstadien des Xenomorphen auftaucht, sollten sich beide Instrumente in den musikalischen Nahkampf begeben. Doch die Verantwortlichen stellten sich erneut quer und verwarfen die vortrefflichen Ideen Goldsmiths. Wenn der spinnenartige Facehugger auf dem Gesicht des sedierten Kanes ruht, beschränkt sich die Musik maximal auf die bekannten Suspense-Streicher. Und wenn die 'Chestbuster'-Larve aus seinem Torso blutig hervorbricht, schweigt die Musik völlig. Ähnlich wie in "Der Exorzist" erwächst der unvermittelte Horror aus der nüchternen Beobachtung.

Unverständlicher fällt die Entscheidung Scotts und Rawlings' aus, mitunter die nur für Vergleichszwecke gedachte funktionale Spannungsmusik aus "Freud" beizubehalten. In einer besonders eindringlichen Szene klettert Dallas in einen Lüftungsschacht, um das Wesen zu suchen und zu erlegen. Auf einem Monitor verfolgt die Crew, wie es sich ihrem Captain nähert, während sich zugleich das Alien-Leitmotiv in "The Shaft" anschleicht. Stattdessen erklingt im Film "Desperate Case". Und auch das eskalierende "Acid Test" bei Entdeckung der hoch ätzenden Wirkung der Körperflüssigkeit fiel letztlich weg.

Je weiter sich die Handlung zuspitzt, desto unbedeutender fällt der Score aus. Wenn das Alien schließlich in ganzer Pracht auftritt und sich nacheinander die Mitglieder der schrumpfenden Besatzung reißt, übertönen sein Fauchen und Speicheln die schamhaft in den Hintergrund verbannte Musik. Ripley gelingt es letztlich, in ein Rettungsfahrzeug zu fliehen, wo das Alien sie erneut überrascht. Über die Ausstiegsluke wird es schließlich ins All gesogen. Goldsmith ließ es musikalisch offen, ob die Gefahr damit endgültig gebannt sei, doch Rawlings legte die triumphale "Sinfonia Nr. 2" darüber.

Deren Komponist Howard Hanson war weder informiert worden noch sonderlich begeistert. Und auch Goldsmith erfuhr von den mannigfachen Eingriffen erst nach der Filmpremiere und zeigte sich verwundert. Die Arbeit an "Alien" sei "eine der schlimmsten Erfahrungen" gewesen, "die ich je in diesem Beruf gemacht habe", bilanzierte er 1986. Erst 20 Jahre später stufte er den Zwist mit dem Regisseur und seinem Editor Rawlings zu einem Kommunikationsproblem herab. Ridley Scott sei ein "brillanter Filmemacher", räumte der Komponist rückblickend ein.

"Ich glaube nicht, dass er mir jemals verziehen hat, dass ich Howard Hanson für das Ende des Films verwendet habe", erklärte Terry Rawlings in einem Interview 2004. Der Komponist sei ein "Genie", aber auch ein "Starrkopf". Und damit dürfte er recht gehabt haben. Jerry Goldsmith, der stets Scores mit einem "Eigenleben" auch abseits des dazugehörigen Films anstrebte, hatte mit "Alien" womöglich einen zu großen kreativen Teil für sich selbst eingefordert. Seine ausgefeilten Kompostionen kollidierten mit dem schlichten Inszenierungsstil. An Kunstfertigkeit büßen sie dadurch freilich nichts ein.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Main Title
  2. 2. Face Hugger
  3. 3. Breakaway
  4. 4. Acid Test
  5. 5. The Landing
  6. 6. The Droid
  7. 7. The Recovery
  8. 8. The Alien Planet
  9. 9. The Shaft
  10. 10. End Title

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