laut.de-Kritik
Sündhaft verlockend wie eh und je.
Review von Toni HennigBei Mona Mur treffen schon seit Beginn der 80er avantgardistischer Post-Punk und Wave auf Chanson. Mit der Band Mona Mur & Die Mieter nahm alles seinen Anfang. Große Teile der Einstürzenden Neubauten wie Mark Chung, Alexander Hacke oder FM Einheit spielten in der Formation. KMFDM unterstützte sie live als Support. Die sollten später zu Vorreitern des Electro-Industrials aufsteigen.
Die Neubauten- und KMFDM-Connection besteht bis heute. Für "Delinquent" tat sich die fast 60-Jährige wieder einmal mit Langzeitpartner En Esch (Ex-KMFDM) zusammen, der neben FM Einheit auch auf ihrem letzten Album "Terre Haute" von 2013 mitwirkte.
Mit Bettina Köster (Ex-Malaria!) und Anja Huwe, die sich nach dem Ende von Xmal Deutschland Anfang der 90er an keiner Plattenaufnahme mehr beteiligte, da sie sich der Malerei widmen wollte, hat sie noch weitere Gäste ins Boot geholt. Die beiden steuern jedoch lediglich ein paar wenige Spoken Words bei. Gemeinsam mit Ralf Goldkind, der in der Vergangenheit mit Lucilectric zusammenarbeitete, hat Mona Mur das Album geschrieben und produziert.
"Delinquent" bietet eine souveräne Mischung aus Post-Punk ("Als Ich Aufwachte", "Sinnlos High"), Rock ("Motorboy"), Americana ("Stiefel Im Wind"), Chanson ("Vielen Dank, Herr Kapitän") und harten Industrial- und EBM-Bangern ("Radikal", "Sex To Go"). Im Herz der Platte findet sich mit "Fukushima" eine zeitlos schöne, angerockte Wave-Nummer, die mit "Oh du schöner weißer Prinz, alle haben dich vergessen" die poetischste Zeile des ganzen Werkes besitzt. In der Schnelllebigkeit des Social-Media-Zeitalters schenkt man nämlich der Nuklearkatastrophe an diesem Ort, die gerade einmal erst acht Jahre zurückliegt, schon längst kein Interesse mehr. Man hetzt mittlerweile von einer Tragödie zur nächsten.
Ansonsten hält sich die in Hamburg geborene Wahl-Berlinerin mit politischen Statements meist zurück. Es geht um Abenteuer, Aufbruch, Melancholie, "Schmerz", Sucht und "Sex To Go". Dabei wirken ihr verrucht anmutender Slang und ihr Deutsch-Englischer Sprachmischmasch immer noch so sündhaft verlockend wie eh und je. Die Betonung liegt vor allem auf das Weibliche.
Und das verkörpert sie nach wie vor sehr gut, wenn sie zu staubigen Bass- und Gitarren-Sounds von Ralf Goldkind sowie Live-Snare von En Esch auf eigene Gefahr dem untreuen "Motorboy" verfällt. Den treibenden Song gibt es als Bonus noch als Remix vom Fanta 4-Tastenmann And.Y, der mit seiner stampfenden Ausrichtung auf die dunklen Tanztempel zielt. Außerdem hätten das geradlinige "Radikal" und das rhythmisch verspieltere "Sex To Go" genauso gut auf einem KMFDM-Release in ihrer Hochphase stehen können. Die Handschrift von En Esch lässt sich an einigen Stellen sicherlich nicht verleugnen.
Trotzdem hört man hauptsächlich Handgemachtes. So begibt sich Mona Mur zu den Cowboy- und Blues-Gitarren-Klängen Goldkinds in "Stiefel Im Wind" in die Wüste. Der drückt ebenso dem Titelstück seinen unverkennbaren Stempel auf, wenn sie davon singt, "Stoff, Glückshormon, Methadon, Gesprächsstoff, Schmähstoff, TNT, Chemie" zu wollen und von allem "zu viel". Durch seine lässigen Saitenakkorde kommt die Kühle ihres Vortrages hervorragend zur Geltung.
Das versprüht genauso viel extravaganten Reiz wie früher, ohne aus der Zeit gefallen zu sein, zumal das Fleisch der Wahl-Berlinerin ohnehin "viel zu zäh und hart" ist. So lässt sie sich in "Vielen Dank, Herr Kapitän" "lieber weitertreiben" als nostalgisch zurückzublicken und klingt dabei wie Marlene Dietrich, nur um sich zum Schluss in "Sinnlos High" der "sanften Schwingung" eines verführerischen Liebhabers zu ergeben. Doch der Schein trügt, wenn tiefe, unruhige Post-Punk-Akkorde sie begleiten.
Beständigkeit beweist die Underground-Diva jedenfalls nur mit ihrer unkonventionellen und unangepassten Musik. Hoffentlich dauert es bis zur nächsten Scheibe nicht eine weitere halbe Dekade.
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