laut.de-Kritik

In Pi'erres psychedelischem Trap-Mikrokosmos.

Review von

Man muss es ein bisschen verstehen wollen. Was der vor allem an der Seite von Playboi Cartis "Die Lit" und 6ix9ines "Gummo" berühmt gewordene Producer-und-Rapper Pi'erre Bourne solo macht, wirkt ein bisschen wie die Drain Gang-Gefilde der melodischen Rapmusik. Er hat diese Vocals, die den Satz provozieren, er solle vielleicht lieber beim Produzieren bleiben, aber dann bleibt man doch darauf hängen. Genau so haben seine beiden letzten Alben "The Life Of Pierre 4" und "The Life Of Pierre 5" ihre Kult-Fanbase gefunden. Mit "Good Movie" geht er noch einen Schritt weiter und wird inhaltlich kohärenter, während er subtil mit neuen Dance-Ideen spielt. Es könnte sein bisher bestes Album sein.

Um einen Zugang zu Pi'erres Solomusik zu finden, gibt es normalerweise einen großen Anlass und eine große Blockade. Seine Beats und seine Vocals. Seine Beats sollten an diesem Punkt im Hip Hop-Kosmos ja eigentlich schon lange etabliert sein, nicht nur, weil sie den Trap-Sound nach 2017 fundamental mitgeprägt haben, sondern auch, weil mit Rage ein ganzes Genre auf ihren Ideen aufbaut. Aber trotzdem macht es niemand so richtig wie er: Da sind diese perkussiven, monolithischen Trap-Bässe, die den Songs diese schiebende, massive Urgewalt verleihen. Und dann stoßen sie auf diese leichtfüßigen, schwerelosen Gameboy-Synthies, die Melodien spielen, die sich nie aufs erste Hören erschließen lassen.

Aber genau das ist Pi'erres großes musikalisches Kapital. Seine Melodien sind immer genau dieses Quäntchen unintuitiv, dass sie sich fresh anfühlen: Selbst die simpelsten Arrangements gehen eine Extrameile um die einfachste Lösung. Sie lösen sich selten konkret auf, oft findet er diesen sperrigeren Loop, der dem ganzen Song den Extra-Schub psychedelischer Energie gibt. Das sieht man an Highlights wie "Hop In My Bed": Hier dreht er die Komplexität seiner Produktion ein wenig hoch. Wir haben ein quakendes Arpeggios, ein paar lange, strahlende Synth-Wälle und ein anderes Arp, das fast nach Dancehall klingt.

Und wie so oft sind all die Arps, Loops und Melodien vor allem perkussive Elemente. Die Melodien erscheinen fast zweitrangig. Seine musikalisch texturenreiche Sirup-Welt wirkt erst in der puren Reizüberflutung, wenn jede Kante, jeder Dreh und jede Kreisbewegung den Beat haptisch weiter nach vorne stoßen. Dann der Beatswitch hintenraus, der die Melancholie der MIDI-Strings mit dem tanzbaren Drumbeat ausfaden lässt, dann ein perfekter Übergang in Richtung "Superstar", ein weiteres Highlight, das genau so auch auf "Die Lit" landen hätte können. Aber es gibt Sinn, dass Pi'erre immer noch mit dieser Formel spielt. Sie fühlt sich noch kein bisschen auserzählt an, vor allem, weil er immer noch Wege findet, sie seinem eigenen Vocal-Stil mit jedem Tape ein bisschen besser anzupassen.

Der beste Song demonstriert dieses Wachstum im Songwriting: "DJ In The Car" kommt von vornherein mit diesen Kaskaden an 8Bit-Instrumentation, die genug Klangtiefe mitbringen, um an Spiele wie die Metroid-Reihe denken zu lassen. Mindestens fünf Elemente taumeln synkopiert zueinander auf und ab. Dazu pulsiert ein nostalgischer House-Bass, während Pi'erre seinen besten, repetitiven Refrain über dieses Mädchen ablässt, dass in seinem Auto auf dem Aux-Kabel Party macht. Es fühlt sich wie ein Auto an, in dem man gerne wäre. Wie viele Songs hier klingt der Song gleichzeitig nostalgisch und futuristisch, gleichzeitig vom Lean in den Kosmos geschossen, aber doch irgendwie unterschwellig melancholisch. Pi'erres klangliche Komplexität macht, dass man seine Musik unendlich oft hören kann, man kann sich immer ein wenig anders in sie hineinfühlen. Ein Rezept für Grower.

Und das muss sie für viele Hörerinnen und Hörer auch sein, denn gute Beats hin oder her, taugen sie denn etwas, wenn Pi'erre als Stimme es nicht bringt? Und jein, seine Stärken und Schwächen bestehen weiter. Auf "TLOP5" hat er neulich noch Hoffnung erweitert, dass er seine Melodien und Vibes weiterhin entwickeln würde, dagegen zeigte sein durchwachsenes Juicy J-Kollabo-Tape "Space Age Pimpin" dieses Jahr erst, dass er Musik außerhalb seines Ökosystems einfach noch nicht gewachsen ist. Um so mehr spürt man, dass er sich hier wieder wohlfühlt, die volle Kontrolle zu haben. Das äußert sich nicht nur darin, dass die Beats maßgeschneidert an seinen Vocals funktionieren, sondern auch in den zahllosen Interludes, Preludes, Übergangs-Passagen und Beat-Switches, die diesem Album das Gefühl eines lebenden, pulsierenden Universums geben. Und das äußert sich auch inhaltlich.

"Good Movie" gibt ihm den Raum, sich in einem kohärenten Rahmen über eine Beziehung auszusingen. Und gerade das Intro "Shorty Diary" muss so erstmal verdaut werden. Es klingt nicht gerade beeindruckend. Aber das will es auch nicht. Der Einstieg erzählt Fragmente seiner ersten Eindrücke über dieses Mädchen und dient doppelt als Charakterisierung von Pi'erre als Protagonisten. Und der findet sich schon ganz cool und feiert sich hier und da für Mode und Fame, aber mehr als auf bisherigen Tapes kommt er seiner regulären Persona nah. Er wirkt entspannt, unaufdringlich, einfach wie ein schlaksiger, sympathischer Typ, mit dem man eine gute Zeit haben kann, der aber endlich die scheiternden Versuche von Machismo abgelegt hat.

So entstehen immer wieder Kadenzen und Melodien, die im Ohr bleiben. Er tauscht auch ab und zu Refrains zwischen Songs aus und man findet die Hookline eines Tracks viel später wieder. "Good Movie" ist definitiv speziell. Aber Pi'erre hat es einem selten so einfach gemacht, zu verstehen, was er mit seiner Musik erreichen will. Wenn man den Refrains auf Songs wie "Superstar", "Love Drill", "DJ In The Car" oder "Sosshouse Party" eine Chance gegeben hat, will man diesen psychedelischen, kleinen Musik-Mikrokosmos so schnell nicht mehr verlassen.

Trackliste

  1. 1. Opening Scene
  2. 2. Shorty Diary
  3. 3. Logline
  4. 4. Ex Factor
  5. 5. Intro To Love
  6. 6. Love Drill
  7. 7. Hop In My Bed
  8. 8. Superstar
  9. 9. Where You Going
  10. 10. What I Gotta Do
  11. 11. DJ In The Car
  12. 12. Psane (feat. Don Toliver)
  13. 13. Kingdom Hall - Skit
  14. 14. Kingdom Hall
  15. 15. Witty - Skit
  16. 16. Kevin Heart
  17. 17. Sosshouse Party
  18. 18. Safe Haven
  19. 19. Rounds
  20. 20. System
  21. 21. Moving Fast (feat. Young Nudy)
  22. 22. Good Movie
  23. 23. Heart Say

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2 Kommentare

  • Vor 2 Jahren

    Für mich Highlight bisher neben dem posty und Future Album. Geht mir ähnlich wie bei „Die Lit" damals. Diese Beats machen einfach süchtig und man muss es immer wieder hören. Natürlich sind cartis Vocals noch um einiges versierter aber dieses Album ist richtig gut und wird die nächste Zeit wahrscheinlich ziemlich oft laufen.

  • Vor 2 Jahren

    Mir gefallen vor allem seine Beats… Fast nahezu jeder Beat mündet in dem Folgetrack und das auf dem kompletten Album… Rappen und Singen kann er auch ganz… Album ist gelungen, aber kein Banger…