Porträt

laut.de-Biographie

Schorsch Kamerun

Alles beginnt mit Hamburg: Als Schorsch Kamerun 1980 mit 17 aus der piefigen Ödnis seines Heimatdorfes Timmendorfer Strand dorthin zieht, wohnt er nur einen Steinwurf entfernt von den Hausbesetzern in der Hafenstraße.

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Die Gegenkultur dieser Szene und die Punk-Haltung, die er sich als Sänger der einstigen Fun- und späteren Diskurs-Punks der Goldenen Zitronen aneignet, bestimmt sein Leben. In den 1990ern veröffentlicht er erste Solo-Alben und in den 2000ern landet er als Regisseur auf den Theaterbühnen der Republik.

Die Zeit im Hamburg der 80er Jahre zwischen dem "Krawall 2000", einer der ersten Punk-Kneipen Deutschlands, und der Hausbesetzerszene der Hafenstraße soll Kamerun ein Leben lang prägen. "Für immer Punk möchte ich sein, für immer Punk ..." singt er 1987 mit den Goldenen Zitronen auf deren erster Platte "Porsche, Genscher, Hallo HSV". Das ist eigentlich - wie vieles im Fun-Punk - eher ironisch gemeint, und doch trifft es auf Kamerun zu.

In den frühen 1990ern sagen die Goldenen Zitronen sich mit den Alben "Fuck You" und "Punkrock" von ihren Fun-Punk-Wurzeln los und landen mit "Das Bißchen Totschlag" in der Hamburger Schule. Ein bisschen bleiben sie aber auch immer deren älterer Adoptiv-Sohn.

Über die politischen Ansichten immerhin herrscht Einigkeit: gegen Nationalismus, Rassismus und Sexismus und gegen die Fremdbestimmung des eigenen Lebens. Dazu gehören seit jeher eigene Strukturen, sei es das Independent-Label oder die Verweigerung gegenüber jeglicher Form von Marketing.

Teil dieser Selbstorganisation bildet seit 1988 der Pudel Club (später Golden Pudel Club) in Hamburg, den Schorsch Kamerun gemeinsam mit Rocko Schamoni betreibt. Abseits von Gewinndenken treten dort Underground-Acts aller Couleur auf.

In den 1990ern avanciert das Biotop zum Treffpunkt der Hamburger Schule. Grenzüberschreitung gehört zum Programm. So überrascht nicht, dass in der Stammkneipe der einstigen Punkrocker auch immer wieder elektronische Klänge zu hören sind.

Mehr und mehr findet Kamerun selbst an der Elektronik seinen Gefallen. So verknäult er 1996 auf seiner ersten Solo-Platte "Warum Ändern Schlief" Lo-Fi-Pop mit abgedrehten Synthieklängen. Wichtigstes Instrument bleibt aber immer noch die Stimme, denn, so Kamerun: "Mir ging es um den klassischen Protestsong mit modernen Mitteln, aber bitteschön auch noch abstrakt."

Schon im Jahr darauf legt er mit "Now: Sex Image" nach. Wieder setzt er sich hinter Synthesizer, Sampler, Drum-Machine und Mikro und wieder kommt sperriger Homemade-Techno dabei heraus. Manchmal sogar ohne Text.

Zur Jahrtausendwende tourt Kamerun als Sylvester Boy mit Laserschwert und USA-Flagge durchs Land. Die Musik greift auf den unterkühlten New Wave der 1980er zurück und nimmt den punkigen Electroclash der 2000er vorweg. Wie gemacht also für das Label der Schwestern im Geiste, Chicks on Speed, wo das Album schließlich erscheint.

Schorsch Kamerun - Der Mensch Lässt Nach Aktuelles Album
Schorsch Kamerun Der Mensch Lässt Nach
Kämpferisches Brecht/Weill-Update des Goldenen Zitronen-Sängers.

In den 2000ern beginnt Kameruns steile Karriere als gefragter Theater-Regisseur. So inszeniert er unter anderem am Schauspielhaus Zürich, am Hamburger Schauspielhaus, an der Berliner Volksbühne oder an den Münchener Kammerspielen zahlreiche Stücke. Seine Punk-Haltung hat er bei all dem genauso wenig verloren wie sein Sendungsbewusstsein.

Den Toten Hosen erklärt er im Interview: "Tatsächlich versuche ich in all meinen Kunstformen immer meine politische Haltung einzubringen. Ich glaube an die Aussagekraft von Texten - und auch eine bestimmte Ästhetik kann unmissverständlich sein. Ideale sind keine Mode, die man wegwerfen kann wie einen Turnschuh, wenn man ihn nicht mehr mag. Nur sollte man von Zeit zu Zeit das Transportmittel ändern, sonst wird es langweilig und keiner schaut mehr hin."

Auf der Grundlage einiger Theaterstücke verfasst Kamerun mehrere Hörspiele für den WDR. Für sein Hörspieldebüt "Hanns Eisler (1898–1962) – Hollywood Elegien" wird er direkt für den Prix Italia nominiert. Für das Hörspiel "Ein Menschenbild, das in seiner Summe Null ergibt" bekommt er den Hörspielpreis der Kriegsblinden. Der uralte Punk-Gedanke, "Das kannst du auch", bewahrheitet sich bei Kamerun immer wieder.

Mit "Schafott Zum Fahrstuhl", "Lenin" und "Die Entstehung Der Nacht" beweisen Die Goldenen Zitronen in den 2000ern ihre ungebrochene Relevanz. Vielfach werden sie als wichtigste politische deutsche Band bezeichnet. Die Theaterarbeit und die Erfahrungen Kameruns mit der kulturellen und politischen Elite fließen in die Songs der Zitronen mit ein.

2013 veröffentlicht er nach langer Pause wieder ein Solo-Album. "Der Mensch Lässt Nach" versammelt Lieder aus verschiedenen Theaterstücken, die mit Kameruns über-angepassten Zeitgenossen abrechnen.

In "Die Jugend Ist Die Schönste Zeit" pfeift Schorsch 2016 auf die gängigen Muster einer Musikerbiografie. Statt aus dem Nähkästchen zu plaudern, legt er einen Debütroman vor, in dem es natürlich trotzdem vor Anekdoten nur so wimmelt.

Trotz seines Abschieds vom Drei-Akkord-Dogma des Punkrock und trotz seiner Hochkultur-Weihen bleibt Schorsch Kamerun Punk: "Nur weil es keine neuen äußeren Signale oder Ausdrucksformen mehr gibt, kann man ja dennoch kritisch sein. Und auch wenn man sich auf einer Demo gleich unmodern fühlt, ist es doch wichtig zu protestieren. Punk hat für mich ja auch nichts mit einem Irokesen-Schnitt oder einem schnell gespielten Stück zu tun, sondern mit einer Haltung, wie ich an die Dinge heran gehe."

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