laut.de-Kritik

Baseballschläger und feine Klinge: Headbangen im Home Office.

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Chuck Billy erlebte in den vergangenen Jahren genügend Gelegenheiten, sein Testament zu verfassen. Zunächst überlebte der stimmgewaltige Frontmann den Krebs. Zudem laborierte er in jüngster Vergangenheit an Covid 19. Nun veröffentlicht die Stammband des Sängers, der auch auf der kommenden Lamb Of God gastiert, mit "Titans Of Creation" eine neue Langrille.

Seine Kollegen üben sich in Zeiten der Kontaksperre im Home Office-Headbanging. Lead-Guitarero Alex Sknolnick spielte gemeinsam mit Charlie Benante (Anthrax) und Roberto "Ra" Diaz (Suicidal Tendencies) eine Coverversion des Rush-Klassikers "YYZ" ein.

Die 13. Platte von Testament erscheint dieser Tage unter besonderen Umständen. Generell stellt sich für altgediente Mucker im Herbst ihrer Karriere die Frage nach Muss und Muse. Wie gehen nun Thrash-Veteranen an ein neues Album heran? Im Falle von Slayer gar nicht mehr. Bei Metallica einmal pro Dekade.

Testament behalten wenigstens den Schaltjahres-Rhythmus bei. Typisch Testament erschienen "The Formation Of Damnation", "Dark Roots Of Earth" und "Brotherhood Of The Snake" im vier Jahres-Rhythmus und reklamierten abseits der Big Four gemeinsam mit der deutschen Knüppel-Kapelle Kreator den Thrash-Thron für sich.

"Curse Of Osiris" galoppiert als knackiger Thrasher der alten Schule durch die Anlage. Das Debüt "The Legacy" oder die bis Ende der Achtziger folgenden "The New Order" sowie "Practise What You Preach" lassen grüßen. "The Healers" bedient sich hingegen nicht am eigenen Backkatalog, sondern entstaubt Annihilators mächtiges "Alison Hell"-Riff.

Alex Skolnicks Beitrag "Symptoms" besticht durch songwriterische Qualitäten. Die Abgründe psychischer Krankheiten bieten die lyrische Folie vor deren Hintergrund sich ein massiver Kopfnicker ausbreitet. Hier verzahnen Gitarren und Bass mit klassischem Metal-Riffing im Stile der jungen Maiden, Groove-Attacken der Marke Pantera und trashigen Ausflügen.

Wie Gene Hoglan bei "False Prophet" dann die Bassdrum durchknüppelt ist schier unmenschlich. Der Mann muss Waden wie Arnie Oberarme haben und gleichzeitig agil mit seinen Extremitäten umgehen können wie Chuck Norris. "Dream Deceiver" verfügt über einen Hardrock-kompatiblen Refrain.

Dass sich Kompromisdlosigkeit und Kompositionskunst nicht schließen müssen, beweisen der Opener "Children Of The Next Level", der den Knüppel aus dem Sack munter durch die Gegend proggen lässt. In "Night Of The Witch" gibt Hauptkomponist und Riffgott Eric Peterson den fiese keifenden Screamer. Dessen Vorliebe für extreme Spielarten des Death- und Black-Metal gehen auf die Neunziger Machwerke "Low", "Demonic" oder "The Gathering" zurück. "City Of Angels" rechnet mit dem amerikanischen Traum im albtraumhaften Midtempo ab.

Ein wichtige Rolle spielt auch Steve DiGiorgio, Bassist und Hippie in einer Person. Er sorgt für ein monströses Fundament, geizt dabei aber nicht mit Melodie und eigenen Spots wie am Beginn von "Code Of Hammurabi". Das Teamwork rundet Billys Gespür für spannende Themen ab, die er gemeinsam mit Exodus-Fronter Steve Souza in markante Zeilen gießt.

Wer auf Thrash mit proggigen Referenzen in der Tradition von "Master Of Puppets" oder "Rust In Peace" steht, der zudem zeitgemäß umgesetzt ist, kommt an der neuen Testament nicht vorbei. Das Quintett springt in die Lücke, die Slayer im vergangenen Jahr hinterlassen haben. Eric Peterson und seine Gang veröffentlichen zum denkbar besten Zeitpunkt eine Metzel-Platte mit technischem Anspruch. Hier regiert die feine Klinge wie auch der Baseballschläger. Zu "Titans Of Creation" ist Headbanging im Home Office angesagt.

Trackliste

  1. 1. Chidren Of The Next Level
  2. 2. WWIII
  3. 3. Dream Deceiver
  4. 4. Night Of The Witch
  5. 5. City Of Angels
  6. 6. Ishtar’s Gate
  7. 7. Symptoms
  8. 8. False Prophet
  9. 9. The Healers
  10. 10. Code Of Hammurabi
  11. 11. Curse Of Osiris
  12. 12. Catacombs

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2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    Wow, starkes Album. Hat ordentlich Drive. Dazu abwechslungsreich und eine zeitgemäße Produktion. Bollert ordentlich, aber eben nicht nur. Lediglich der erste Track wirkt auf mich musikalisch überfrachtet – vergleichbar mit dem Cover, das leider ein Zuviel an Symbolik enthält und dadurch in den Kitsch abdriftet. Aber es zählt ja der Inhalt und der passt. Meine Highlights: WWIII, Night of the Witch, Curse of Osiris und das interessante City of Angels über den Night Stalker Ramirez.

  • Vor 3 Jahren

    Starke 2000er Vibes. Aber in modern. Macht Spaß.