laut.de-Kritik
Glücksfall für alle Freunde deutschen Indiepops.
Review von Oliver LambrechtTapete Records schart zum fünften Mal einen Großteil der aktuellen deutschsprachigen Independentszene um sich und veröffentlicht "Müssen Alle Mit 4". Die Klassiker-Sammlung "Müssen Alle Mit - Ewig Schön" von 2004 lief außerhalb der Reihe. Wieder beschränken sich die Mannen um Dirk Darmstädter nicht alleine auf die eigenen Künstler, sondern sie lassen - wie beim ersten, zweiten, dritten Mal - auch Musiker fremder Labels aufs Album.
Ohne Ziel macht sich als erstes das Jeans Team auf den Weg, "Das Zelt" im Gepäck. "Mein zu Hause ist die Welt", also schnell die Musik aufdrehen, auch weil und gerade wenn Olli Schulz mitsamt Hund Marie "Wenn Die Music Nicht So Laut Wär" singt. Nach den zwei Tanznummern wippen Tele mit "Mario" weiter, ehe Die Sterne "Am Pol Der Macht" ihr Gebiet als Alltagsbeobachter abstecken. Peter Licht besingt "Das Absolute Glück", und der absolute Glücksfall für Freunde deutschen Indiepops rotiert weiter im CD-Spieler oder im Laufwerk.
Wolke zieht nachfolgend auf und stellt in "Schlimmer" fest, dass alles so wie immer ist, "nur noch viel schlimmer". Etwas ironischer widmet sich Rocko Schamoni in "Jugendliche" der Thematik. Bernd Begemann lenkt den Fokus mehr in Richtung der holden Weiblichkeit, die übrigens nur als Thema auftaucht und keinen einzigen Beitrag leistet. "Ich Werde Sie Finden". Ja, wirst du Bernd. Die Österreicher Garish huldigen dem Liedgut alter Diven in "Im Ärmel Meiner Linken Hand", während "Der Mond" von Kolkhorst besungen wird. Die treibenden elektronischen Beats stehen zwar der analogen ewigen Sehnsucht diametral gegenüber, aber die Teile passen zusammen. Geschmeido verabschieden sich mit dem beschwingten "Auf Wiedersehen" in die Halbzeit des Albums.
Klez.e greifen das Thema 'unterwegs sein' wieder auf und singen ihr "Strandlied". Als nächstes zupft Singer-Songwriter Nils Koppruch seine Gitarre und nennt es "Den Teufel Tun". Doch bevor die wohlige Melancholie des bis dato eher unbekannten Musikers überhand nimmt, platzen die Tapete-Helden Anajo "Hallo Wer Kennt Hier Eigentlich Wen?"-fragend herein. Die drei Augsburger zeichnen sich gerade auf Tour als Liebling der nachwachsenden Indie-Generation aus. Altgediente Anhänger locken wiederum Fotos hervor. Das nur namentlich abgedroschen klingende "Ich Bin Für Dich Da" schlägt die Brücke ins Reich der New Wave of New Wave-Bands, spricht aber trotzdem die Sprache der Krautz.
Unersättlich geben sich Samba mit "Fair". In Anbetracht der Tatsache, dass diese Band auch nach Jahren nur als Geheimtipp gilt, darf der Text gerne als höfliche Aufforderung aufgefasst werden, Samba nun endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Die Schweizer Aeronauten, ihrerseits mit "Männer" auf dem Album vertreten, haben diesen schon hinter sich. Seit damals, als die Hamburger Schule sogar bis ins Schweizer Schaffhausen reichte.
ClickClickDecker erinnert sich in "Immerhin Beabsichtigt" alter Dagegen-Positionen und prangert an, dass andere oder man selbst des Anprangerns müde wurden, "nur mal so im Allgemeinen". Im Anschluss stimmen Die Goldenen Zitronen das "Lied Der Stimmungshochhalter" in alter Punkmanier an. Wie zuvor bei Kevin Hamann schwingt eine Portion Mut mit, nur drückt sich das bei den Zitronen in einer spröderen Produktion und weniger subtil aus.
Bevor Schrottgrenze einen hallenden Raum in ein "Fotolabor" uminterpretieren, nölt sich Jens Friebe in eine andere Zeit und in den Dialog mit "Frau Baron". Zum Finale singen Virginia Jetzt! "Mehr Als Das". Als ob 22 Lieder dieser Qualität nicht ausreichen würden.
Immerhin sprengt die Zusammenstellung mit 72 Minuten Länge das übliche Maß. Einmal mehr gelingt den Leuten von Tapete Records eine nahezu komplette Zustandsbeschreibung der deutschsprachigen Indie-Pop-Szene. Dabei glänzt die Auswahl mit Singles und zukünftigen Klassikern. Die Zahl der Mixtapes, die hier mithalten könnten, lässt sich bestenfalls an einer Hand ablesen.