laut.de-Kritik

Trotz seines Namens ist dem Angelo offenbar gar nichts heilig.

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Mit Angelo Kelly ist es eine verzwickte Sache. Sein Rezept fürs "Mixtape Live Vol. 3" macht eigentlich nichts verkehrt. Denn die akustische Rhythmusgitarre ohne Schnickschnack herunter zu schrammeln (Ausnahmen: "Hold Me Now", "Angels" mit Klavier) und bekannte Melodien zum Besten zu geben, stellt eine der simpelsten, direktesten Formen musikalischer Mitteilung dar.

Das Pfadfinderhafte daran, abends beim Lagerfeuer mit wenigen Hilfsmitteln gemütlich Emotionen und Akkorde auszutauschen, die jeder mitschunkeln kann, das wirkt ehrlich. Authentisch. Um es deutlicher zu machen, müsste man "unplugged" drüber schreiben. "Mixtape" betont jedoch einen formal-technischen Aspekt, der völlig in die Irre führt. Ein "Mixtape" ist Angelos Album allenfalls in dem Sinne, dass er wahllos Lieder zusammen klaubt, die nichts miteinander zu tun haben, außer dass er sie zufällig kennt. Und fast jeder sie kennt. "Unplugged Live Tribute To Everybody" wäre ein passenderer Album-Titel.

Das bescheidene Nachspielen vieler großer Hits suggeriert, die Coverversionen gereichten den Originalen zu Ehre. Etliche der Cover-Picks wirken jedoch geschmack-, lieb- und fantasielos, respekt- und gedankenlos, rotzig hingeworfen wie Klöpse auf einen Grill. Da verbrennen einige der Tracks, bis sie nur noch bitter schmecken, aber jedes andere Aroma verloren haben.

Schließlich wirkt schon die Auswahl des Songmaterials, als lege Lagerfeuer-Kelly den Veganer:innen absichtlich Fleisch bei. Nur mit einer solchen Vorstellung lassen sich Kombis wie "99 Luftballons" von Nena mit "Looking For Freedom" einordnen, wobei Angelo das durch David Hasselhoff berühmt gewordene Lied hier immerhin in seine er(n)ste Intention zurück führt, als Coming of age-Ballade. Wer ein Set aus Princes "Purple Rain", "Quit Playing Games With My Heart" von den Backstreet Boys und "Sweet Child Of Mine" von Guns'n'Roses in dieser Abfolge baut, heißt entweder Musicmaster, Radiomax oder Powergold, designt die algorithmischen Playlists mieser Radiosender und wurde von deren Redaktionen schlecht befüllt. Oder er heißt Angelo, und es ist sein voller, trauriger Ernst.

Nicht, dass er die Songs durch irgendeinen Move musikalisch, textlich, ansagerisch halbwegs verbinden würde. Nicht mal, dass er wenigstens einem einzigen der Lieder etwas konstruktives Neues abgewinnen würde, außer eben dass wir sie unplugged mit teils grenzwertigen Röchel-Vocals zu hören bekommen. Nicht, dass er die Lyrics ändern oder irgendwas hinzu komponieren würde. Er spielt einen schlaffen Standard herunter.

Trotz seines engelshaften Namens ist dem Angelo offenbar nichts heilig. Und das wirkt inmitten der Unplugged-Ehrlichkeit extrem unehrlich. Ich möchte auch gar nicht "Gangsta's Paradise" von jemandem dargeboten wissen, der sich nie mit Ghetto Culture oder Funkyness beschäftigt hat und sehr wahrscheinlich vom toten Coolio nur diesen einzigen Hit kennt, der bekanntlich selbst ein Cover war. Wär's anders, mit seriösem Interesse statt Marketingmaschine, dann hätte es sich angeboten, von Coolio mal was anderes aufs Mixtape dazu zu packen und diesen Menschen posthum zu ehren, und im sowieso wahllosen Gestrüpp weiter zu Stevie Wonder zurück zu scrollen. Das Cover misslingt derweil als blutleerer people pleaser: eine willkürliche Darbietung im Vertrauen darauf, dass das Publikum halt auf den extrem bekannten Song stehen würde. Gerade wer das Lied liebt, wird die schroffe Version als zynisch oder mindestens unsensibel empfinden. Sie sagt selbstverliebt, 'Boah was bin ich für ein Hecht, dass ich mir einen Rap-Text merken konnte, mit so harten Zeilen wie 'as I walk through the valley of the shadow of death''.

Beim Medley von Marleys "Three Little Birds" und McFerrins "Don't Worry Be Happy" stellt sich die Frage, welchem Bobby der Angelo hier mehr unrecht tut. Marley covern, das schafft er so halbwegs: bröckelig, populistisch, ansatzweise dämlich, aber gerade so erträglich. McFerrin schreddert er so haarsträubend schon nach wenigen Takten kaputt, dass man vor diesem Album schon aufgrund seines Hangs zur Verunstaltung nur warnen kann. Bass und Orgel in "Three Little Birds / Don't Worry Be Happy" sind gut besetzt. Aber das Mitgeklatsche nervt, und der Reggae-Text ist falsch betont, das raubt dem Lied seinen Sinn.

Erstaunlich gut sorgt die Grunge-Melancholie von "My Hero" aus dem Repertoire der Foo Fighters für Gänsehaut, und da fühlen sich Vibrato und volle Inbrunst in Angelos Stimme in Ordnung an - hier ist dickes Auftragen okay. Pluspunkte gehen auch an die intime und konzentrierte Stimmung in Maria McKees "Show Me Heaven" und an die erfolgreiche Übertragung von David Guettas "Titanium" in organische Instrumente. Als Highlight überstrahlt der perkussive Schlusssong "Break Free" aus dem Schatz der Kelly Family alles zuvor Gehörte.

Krasse Selbstüberschätzung scheint aber zu grassieren, wenn die Plattenfirma ironiefrei mutmaßt, "die Version von 'Wasted Years' wird bestimmt einige dazu bringen, sich das Original anzuhören." - Ähm. Erinnert an die Einleitung in die letzte Doubletime: Label- und Artist-Manager haben doch mitunter seltsame Koordinatensysteme. Nein, Leute, es wird nicht mal ein Prozent der Massen, die diese CD schon vor Release in die Bestseller-Liste gebracht haben, jemals wegen dieses (faden) Acoustic-Covers das Original von Iron Maiden anklicken.

"Purple Rain" klingt wie 10.000 Mal geprobt, in der Hoffnung das Original in jedem Mikro-Detail absolut genau zu imitieren. Kann direkt in die Tonne, löst aber frenetischen Jubel aus. Gleiches Phänomen beim neurotischen Kleben an der Vorlage von Don Henleys "Boys Of Summer" - Angelo als Papagei der 80er kommt an.

Kann man ja live alles mal ausprobieren. Allerdings, ich wäre rückwärts aus den Konzerthallen geflüchtet, sobald ich die Masche erkannt hätte: Angelo versucht immer wieder auf deutschen Rag'n'Bone Man zu machen, sich Blues als zweiten Vornamen zu geben und betont lebenserfahren und heiser rüber zu kommen. Dann inszeniert er es, zu leiden. Sogar in Momenten, an denen die Songs dafür gar keine Grundlage bieten. Je öfter und wahlloser er diesen Kniff einsetzt, desto mehr hört sich das nach Attitüde an.

"Who Wants To Live Forever" lädt hingegen als pathetisches Lied rund um ein großes Thema durchaus zum Theatral-Verheulten ein. Da Queen mir nur wenig näher stehen als alle Kelly-Familienmitglieder, mache ich an dem Song das grundsätzliche Manko fest.

Man spürt ja, ob jemand (hier also Angelo) ein Stück nachsingt, um es anders zu betonen, sich darin auszutesten, oder es nachsingt wie an einer Straßenecke, um einen Groschen im Hut landen zu sehen, oder ob sich eine neue Geschichte mit dem alten Lied verknüpft, zum Beispiel weil der Covernde an etwas denkt, worauf das Lied für ihn selbst bedeutungsvoll Bezug nimmt. Kelly packt, anders als bei anderen Nummern hier, viel Intensität in die Performance. Aber das war's dann auch. Er erzählt keine Story. Das edle Wohltönen bleibt hohl, bestenfalls eine technische Dienstleistung; ab der Mitte schaltet man innerlich ab. Noch bevor man einen Groschen aus der Hosentasche fingern könnte.

Wären die verwendeten Melodien nicht so populär und farbkräftig, ohrwurmig und teils richtig stark, dann müsste man sagen, das Album leide unter Monotonie. Alles hört sich auf penetrante Weise ähnlich an. Das größte Kompliment, das man "Mixtape Live Vol. 3" bereiten kann: Zwischendurch gibt's Phasen, da stört es nicht.

Kellys homogenisierter Flickenteppich qualifiziert sich durch keinen Deut höher als irgendwelche Kleinstadt-Cover-Bands, die auf Hochzeiten spielen - wenn da nicht der Name 'Kelly' wäre. Und viele von den Auftrags-Cover-Combos würden "Quit Playing Games With My Heart" reiner und ausdrucksstärker singen und die Töne treffen. Sie würden "Sweet Child Of Mine" nicht so pubertär krähen und so plump zum Stomper verwandeln. Wie Angelo sich das traut, macht fassungslos. Guns 'N Roses sind sehr spezielle Musik, aber wenn man keinen Sinn dafür hat, muss man's ja nicht nachspielen. Doch wie kann man Musik so sehr hassen, dass man sie nur noch zweckmäßig abarbeitet, nach dem Motto: 'Wo die Leute am lautesten mitklatschen, da bin ich der Held'?

Das "Mixtape", das keines ist, tut zur Hälfte weh, zur anderen klingt es teils narzisstisch, teils einfach völlig egal. Bis auf die ersten beiden Tracks und aufs letzte Lied ist es gnadenlose Zeitverschwendung.

Trackliste

  1. 1. My Hero
  2. 2. Titanium
  3. 3. Wasted Years
  4. 4. Three Little Birds / Don't Worry Be Happy
  5. 5. Gangsta's Paradise
  6. 6. Hold Me Now
  7. 7. Purple Rain
  8. 8. Quit Playing Games With My Heart
  9. 9. Sweet Child Of Mine
  10. 10. Show Me Heaven
  11. 11. Who Wants To Live Forever
  12. 12. Drum Solo
  13. 13. Blue Butterfly
  14. 14. Boys Of Summer
  15. 15. Looking For Freedom
  16. 16. 99 Luftballons
  17. 17. Angels
  18. 18. Break Free

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