laut.de-Kritik
Christian gibt den Kritikern ihr Schappi und zieht weiter.
Review von Sven KabelitzWas kann ein Kind für seinen Vater? Der musikalische Senior von Christian Scott bleibt auch auf "Christian Atunde Adjuah" Miles Davis. Er ist allgegenwärtig. Doch ist es dem Stammhalter anzukreiden, dass Davis bereits alle musikalischen Wiesen abgegrast hat? Immerhin findet Scott im zartem Jazz-Alter von 29 noch den ein oder anderen entlegenen Winkel zur Selbstverwirklichung.
Das Ausnahmetalent schlüpft in die Kleidung der Black Indians von New Orleans und sein Blick wandert in Richtung Zukunft. Die Wurzeln seines Fusion-Jazz liegt in den 1970ern, doch der Ansatz ist modern und klar. Ganze 23 Tracks lang macht er sich auf seinem vierten Longplayer auf die Suche nach der eigenen Identität. Seine Klanglandschaften erzählen akustische Geschichten voller Atmosphäre und Attitüde, scheuen sich weder vor Rock, Hip Hop noch Funk.
"Fatima Aisha Rokero 400" erzählt die Geschichte von 400 afrikanischen Frauen, die in der sudanesischen Stadt Rokero von Janjaweed-Milizen vergewaltigt wurden. Es gelingt ein außergewöhnlicher Einstieg in dieses atemberaubende Doppelalbum. Nach eineinhalb Minuten startet der Song neu. Die Gitarre von Matthew Stevens klingt ungewohnt U2-artig in diesem Umfeld. Ihr folgt der wirbelnde Jamire Williams an seinem Schlagzeug und Lawrence Fields am Piano. Wenn dann schlussendlich Christian Scott einsetzt, gleicht dies einem erhabenen Moment. Der Song endet im einsamen Spiel zwischen Scott und Fields. Herzzerfleischende Ruhe nach einem grauenvollen Verbrechen.
Ebenso unschön die Geschichte hinter "Danziger". Sechs Tage nachdem Hurrikane Katrina Leid über New Orleans brachte, erschossen fünf Mitglieder der NOPD zwei unbewaffente Menschen. Vier weitere wurden verletzt. Sieben Jahre später wurden die Polizisten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt - auch weil sie versuchten, ihre Taten im Anschluss zu verschleiern. In diesem Opus arbeitet Scott all das auf, prangert laut und melancholisch mit seiner kongenialen Band an. Trauer und Wut sind zu fassen. Jazz als Protest.
"Who They Wish I Was" ist als Antwort an all jene zu verstehen, die in Scott nur die nächste Miles Davis-Replik erkennen. Während die Pianonoten wie Regentropfen am Spiel von Scott herab träufeln, ähnelt dieses paradoxerweise genau hier dem 'Prince Of Darkness' am meisten. Mit ausgestreckter Zunge gibt er den Kritikern ihr Schappi und zieht weiter.
Bereits auf "Yesterday You Said Tommorow" coverte Scott "The Eraser" von Thom Yorke. Mit "New New Orleans (King Adjuah Stomp)" und "The Red Rooster" finden sich wieder zwei Tracks, durch deren Beats und Songstruktur der Einfluss von Radiohead schimmert.
Doch ein Kritikpunkt bleibt. "Christian Atunde Adjuah" könnte noch so viel größer wirken, hätte sich Christian Scott darauf besonnen, nur die zwölf oder dreizehn besten Stücke zu veröffentlichen. Für das abschließende Fazit möchte ich an dieser Stelle allerdings Dr. Emmett Brown aus Zurück in die Zukunft zitieren: "Great Scott!"
7 Kommentare
der ist so scheißgut...beängstigend
bekomme auch sofort die 70er miles assoziation. aber nur zur hälfte.
der chris hat schon ne kelle voodoosümpfe und new orleans blues am start.
scott ist mit jedem album besser geworden und live haut er einen samt extrem gut eingespielter band um. das album werd ich blind kaufen, wie seine vorgänger schon.
das ist doch jazz, oder? so mit intsrumenten, und alle spielen drauf los, und vorne ne trompete und dann so lüüüülülülülülülü
lüüüülülülülülülü!
so, heut direkt via amazon angekommen und was für ein biest. ich froh, dass es noch eine zweite cd gibt, nachdem mich die erste weggeblasen hat.
aber scotts erklärungen zu "stretch music" im booklet (so nennt er seinen jazz) sind schon eher unfreiwillig komisch. naja, der junge kann nix falsch machen.