laut.de-Kritik
Der Hobbymechaniker entzieht sich allen Schubladen.
Review von Giuliano BenassiJeff Becks Musik in Worte zu fassen ist ungefähr so schwierig wie die Explosion einer Atombombe zu beschreiben. Wo soll man anfangen? Bei der pilzförmigen Wolke, die sich bildet? Bei der ungeheuren Druckwelle, die den Boden erschüttert? Bei der Strahlung, die alles deformiert und vernichtet? Wenige Worte reichen da nicht aus.
Die Schwierigkeiten beim englischen Hobbymechaniker beginnen schon bei der Bestimmung seines Instruments. Klar, er hält eine Gitarre in der Hand, aber mit den meisten seiner Kollegen hat er nicht viel am Hut, entlockt er ihnen doch Tönen und Leitern, die sonst kaum jemandem in den Sinn kämen. Und die wiederum von seiner momentanen Stimmung abhängig sind. Tobte er sich zu Beginn des Jahrtausends mit Beats und heftigen, verzerrten Klängen aus, wandte er sich anschließend wieder Jazz und Fusion zu, wie die Besucher seiner 2007er Tour erlebten.
Eine Woche lang spielte er im Londoner Ronnie Scott's Club. Seine Begleitband bestand aus dem Schlagzeuger Vinnie Colaiuta, jahrelang an der Seite Frank Zappas, dem Orgelspieler Jason Rebello, der neben einigen Jazzgrößen auch schon Sting begleitete, und der jungen Bassistin Tal Wilkenfeld, die keine Mühe hat, selbst Beck an die Wand zu spielen.
Vier Virtuosen, die hörbar Freude am gemeinsamen Musizieren haben. Der Opener "Beck's Bolero" entstand 1967 mit Jimmy Page, John Paul Jones und Keith Moon, also mit zwei Vierteln der späteren Led Zeppelin und einem Viertel von The Who. Wie in John McLaughlins "Eternity's Breath" lässt das Quartett verträumt, fast schon psychedelisch die späten 60er Jahre aufleben, ohne in Nostalgie zu verfallen. Jeder scheint für sich zu spielen, dennoch ergibt sich ein mitreißendes wie schlüssiges Gesamtbild.
Während Beck im langsamen "Stratus" seiner Gitarre fast eine menschliche Stimme verleiht, zaubert Colaiuta absurde Rhythmen, die Wilkenfeld zu einem astreinen Solo bewegen. Nicht um anzugeben, sondern einfach, weil es in den Fluss der Musik passt. Stevie Wonders "Cause We've Ended As Lovers" verleihen sie eine ebenso persönliche Note wie Nitin Sawhneys "Nadia" und Charlie Mingus' Hommage an Lester Young, "Goodbye Pork Hat". "A Day In The Life" aus "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" darf zum Schluss noch einmal als Offenbarung bezeichnet werden: So abgedroschen das Stück der Beatles sein mag, es ist nach wie vor ein Genuss zu erleben, wie Beck die Hektik des Alltagslebens nachzubilden weiß – und das ohne Orchester und Gesang.
"Live At Ronnie Scott's" legt ausführlich dar, was Beck und seine damaligen Mitstreiter bei Eric Claptons "Crossroads Guitar Festival 2007" auszugsweise zeigten: Eine eigenartige wie betörende Klangwelt, bei dem einem nichts anderes übrig bleibt, als gesenkten Hauptes den Hut zu ziehen. So ist Beck eine Art musikalische Atombombe, die sich schwer beschreiben lässt, aber wenigstens keine Schäden an Menschen und Umwelt anrichtet. Um es in Lee 'Scratch' Perrys Worte zu fassen: Kaboum!.
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