laut.de-Kritik

Täuscht von links Power an, geht aber rechts schnell die Kraft aus.

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Scheinbar gibt es in der modernen Musik ein ungeschriebenes Gesetz, einen ewig wiederkehrenden Zyklus. Nichts klingt so gestrig, wie die Musik von vor elf Jahren. Während ältere Aufnahmen langsam dem Charme der Nostalgie und des Verblendens verfallen, liegen diese Schandtaten noch viel zu nah. Ihre Wunden sind noch nicht verheilt. Beispiele für 2001 gefällig? Alien Ant Farm, HIM, Pink oder Madonna im Cowboy-Kostümchen. Zeitgleich kam die erste Generation des iPod auf den Markt. Heute besitzt ein Walkman mehr Esprit als dieser frühe Backstein mit 5 GB.

Doch kaum eine Musikrichtung altert so schnell wie Electronika. Während eine Gitarre nach elf Jahren immer noch irgendwie nach einer Gitarre klingt, folgt hier Trend auf Trend. Wer stehen bleibt, hat schon verloren. Kosheen enterten zu dieser Zeit mit "Resist" die Drum'n'Bass-Bühne. 2012, also genau elf Jahre später, bringen sie mit "Independece" ihr viertes Album unter die Leute. Bis auf den fast verschwundenen Drum'n'Bass-Anteil klingen sie noch genauso wie damals.

Die entstandene Lücke versuchen sie mit ihrer eigenen Version von Downbeat, Electro-House oder dreißig Sekunden Dubstep ("Something New") zu füllen. Sängerin Siân Evans und ihre beiden Elektro-Fummler rennen zeitgleich in jede mögliche Richtung, vergessen aber irgendwo anzukommen. Die einzelnen Songs schwanken zwischen solide und strunzlangweilig. Mit zeitgenössischer elektronischer Musik haben sie nur noch am Rande zu tun, passen aber vielleicht noch in das Ambiente irgendeiner Cybergoth-Dorfdisse.

Der Start mit "Addict", "Get A New One" und "Tightly" täuscht von links Power an, geht aber rechts schnell die Kraft aus. Zudem ähneln sich die Songs mit ihrer EBM-Finte und den Ibiza-Flangers einfach zu sehr. Aber allemal besser als der House-Track "Dependecy". Zerstückelt durch einen abgeschmackten Café Del Mar-Refrain, könnte dieser kaum gruseliger ausfallen. Eine traurige Nachgeburt der 1990er.

Etwas besser geraten schon die dämmrigen "Bella Donna" und "Manic", die über einen harten Beat rumpeln. Doch auch hier bleibt die Band auf der Suche und klingt wie eine Mischung aus Moloko und Depeche Mode zu "Exciter"-Zeiten. Auf dem viel zu langen "Mannequin" greifen sie noch einmal nach den alten Drum'n'Bass-Wurzeln.

Die zweite Hälfte zerfällt zunehmend in sphärischen aber nie sonderlich berauschenden Soundspielereien. Bezeichnend, dass nur der betäubende Remix von "You Don't Own Me" gelingt. Erst mit der Electro-Pop-Nummer "Waste" kommt "Independece" wieder in die Gänge. Diese startet vielversprechend, scheitert dann aber an einem abgeleierten Refrain. "What A Waste".

Kosheen finden auf "Independence" nie zu einer eigenen Identität. Unsicher und unausgegoren sammeln sie alles auf, was ihnen in den Weg kommt. Ein stimmiges Bild kommt so zu keiner Zeit zustande. Wer sich den Longplayer trotzdem zulegen möchte, kann gerne zum Download-Shop seiner Wahl greifen. Vom Kauf der CD möchte ich abraten. Schon lange habe ich nicht mehr so ein ödes und belanglos gestaltetes Booklet gesehen. Sechs hässliche Seiten ohne jegliche Information.

Trackliste

  1. 1. Addict
  2. 2. Get A New One
  3. 3. Tightly
  4. 4. Bella Donna
  5. 5. Dependency
  6. 6. Manic
  7. 7. Zone 8
  8. 8. Mannequin
  9. 9. Something New (Vision Z Mix)
  10. 10. Out There
  11. 11. Enter
  12. 12. You Don't Own Me (Dungeon Mix)
  13. 13. Waste
  14. 14. Spies

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LAUT.DE-PORTRÄT Kosheen

Kosheen kommen aus Bristol, der heimlichen Musikhauptstadt Groß-Britanniens. Dahinter verbergen sich Sian Evans, Markee Substance und Darren Decoder.

7 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Kann eine so negative Kritik nich nachvollziehen. Ja, es stimmt. Das Rad wurde hier nicht neu erfunden, muss aber ja auch nicht immer.
    Ich kann die Platte zur Zeit täglich hören. Zwei, vielleicht Drei Songs sind wirkliche Ausfälle ihn meinen Ohren (Zone8 und Enter auf jeden Fall), aber nur zwei Sterne sind deutlich zu wenig. 3,5 gibts von mir. Aufgerundet sinds dann 4.
    Vom Kauf der CD rate ich übrigens auch ab. Ladet euch die MP3s runter und scheisst aufs Booklet. Wen interessiert das denn heutzutage noch?

  • Vor 11 Jahren

    UUuup, die platte hatte ich völlig übersehen - sicher besser als 2/5, werde mal ein Promo-Exemplar anfordern.

  • Vor 11 Jahren

    pfui! leider fällt mir grade keine steigerung für "out" ein, aber wüsste ich eine, würde ich sie für die beschreibung dieses albums verwenden. so ist es. "independence" läuft nicht so gut runter, wie die alten sachen.

  • Vor 11 Jahren

    So, bin zurück aus München und immer noch "high".
    Fr. 02.11.2012; KOSHEEN im Ampere / Muffathalle!!!
    Also ich denk mal, da hat keinen irgendein Booklet, Remix oder Ähnliches interessiert.
    Kosheen war live wie gewohnt etwas rockiger, mit Drummer, E-Gitarre, als auf den Studio-Alben.
    Kurz gesagt, es hat mächtig gerockt und Sian Evans finde ich stimmlich live fast noch besser.
    Es wurden nahezu alle "Hits" gespielt:
    Suicide, Empty Skies, Resist, Damage, Hide U, Catch, All in my head, und natürlich von diesem Album "Independence".
    Hatte auch noch Gelegenheit mit den Jungs nach der Show zu reden und sie meinten, man solle Kosheen BAND, nicht mit Kosheen DJ-SET verwechseln.
    Nach dem gestrigen Abend haben Kosheen einige neue Fans dazu gewonnen und viele "alte" Fans froh gestimmt.
    Schade, das diese Band keinen größeren Bekanntheitsgrad erreichen kann, wie z.B. Placebo o.ä.!
    Fazit:
    ADDICT und BELLA DONNA kamen beim Publikum am besten an.

    Gruß an alle, GORBY.

  • Vor 10 Jahren

    Fand die Platte schon beim ersten Hören geil. Höre sie mir grad nach ner ganzen Weile wieder mal an. Was ein Hammer Album - genau mein Ding (bissel Syntie, bissel Drum and Bass, bissel EBM, na und - geile Melodien - schöne Stimme alles super)! Also von mir ganz klar 5 Sterne!