laut.de-Kritik

Heavy, funky, fuzzy, vibey, implosiv: Auf den Spuren von Hendrix.

Review von

"'Black Moon' ist ein Song über rücksichtslose Individuen, die oft das Musikgeschäft verschmutzen. Es geht darum, ausgetrickst, vergewaltigt, verletzt und manipuliert zu werden, aber trotzdem an meiner persönlichen Kraft und meinem Selbstwertgefühl festzuhalten." - Philip Sayce hat sich mit "The Wolves Are Coming" für ein Album übers Anfertigen von Alben entschieden. Ein einsames Geschäft, bei dem man sich doch zugleich mit vielen Leuten auseinander setzt. Leuten, die sich 'hinterfotzig', scheinheilig verhalten, als "Backstabber". Musikbusiness hat wenig mit formalen Regeln, Tarifen, strukturierten Abläufen zu tun. Hier herrschen Improvisation, Vitamin B, Semiprofessionalität.

"Dies ist ein Song über falsche Freunde und ein rücksichtsloses Musikgeschäft. (...) Es ist ein Dschungel da draußen", resümiert Sayce, der sich aufgrund einer Zwangsstörung ohnehin damit schwer tut, Vertrauen zu fassen und diese Hürde im Song thematisiert. Auch wenn sich das Blues-Geschäft verhältnismäßig geordneter, unaufgeregter und planbarer als zum Beispiel Hochglanz-Pop abspielt, hat der 47-jährige Sayce so viel gelitten, dass er alle Wut zu einer Starkstrom-Attacke kumuliert.

Immerhin, auch wenn Philip etliche Instrumente selbst spielt, findet sich dann doch der ein oder andere verlässliche und versierte Mitstreiter, so zum Beispiel Michael Leasure am Schlagzeug, der auf Walter Trouts Alben "Ordinary Madness" und "Battle Scars" trommelt und hier eine fette Schippe drauflegt. Teils, wie in "Black Moon", klingt Leasure stampfend, wie im Marsch eines Armeeorchesters, schnalzt, scheppert.

"Black Moon" gehört auch zu diesem Songzyklus über die Innenansichten des Entertainments. Er handelt von Manipulation und wünscht Philip Sayces Kontrahenten das Schlechteste an den Hals, sogar den zeitnahen Weg ins Grab. In den sarkastisch-zynischen Lyrics, ebenso wie in der Schärfe und Härte des zornigen Sounds übertrifft Sayce sogar den Referenz-Song der Gattung 'große Abrechnung', John Fogertys "Mr. Greed".

"The Wolves Are Coming" ist kein Wolfsgeheul, es ist ein heiseres Rufen im Hintergrund wuchtigen Gitarren-Donners. Schon im Einstieg "Oh! That Bitches Brew" flackert viel Hendrix auf, Sayce liebt es, wenn die Amplifier dumpf, übersteuert, ein bisschen kakophonisch brüllen, grenzwertig und gruftig die Vocals überlagern.

"Blackbirds Fly Alone" nimmt sich die Zeit, eine ganze Reihe von Sayce-Stärken auszuspielen. Los geht's mit sauber gezupfter Gitarre im Intro. Das Schlagzeug klappert behelfsmäßig, als rocke Philips Band erschöpft von der Rock'n'Roll-Rebellion aus dem letzten Loch. Das Stück steigert sich ins Säbelrasseln an den Saiten rein, die zur Song-Mitte hin immer bluesiger und wilder gniedeln, wiederum bis zur Übersteuerung verzerrt, als Ausdruck von Schmerz und Frust. Der Text handelt davon, wie nah Liebe und Hass beieinander liegen, die Vocals und Harmonien zelebrieren Melancholie vom Feinsten.

Sänger Sayce lässt sich da am ehesten mit dem frühen Lenny Kravitz in der dreckigen Aufnahmequalität von "Mister Cab Driver" vergleichen. Auch im Bereich der Balladen hallt irgendwie Kravitz nach - "It's Over Now" hat was vom bedächtigen Töne-Dehnen des Star-Kollegen. Wo die Wurzeln bei beiden zu Jimi Hendrix zurück führen, treibt die musikalische Sozialisation schon mal ähnliche Blüten.

In manchen Tracks wie "Oh! That Bitches Brew" unterscheiden sich Strophe, Refrain und Bridge nicht. Alles wummert, alles ist Lärm. Elektrizität glüht, Bass-Resonanz dröhnt. Der Text mit Metaphern wie einem Skorpionstachel darf in die dritte Reihe rutschen und als Mantra statt als Story fungieren, der Songtitel hat im Übrigen nicht direkt mit Miles Davis zu tun. "'Oh! That Bitches Brew' kam eines Abends ziemlich schnell zusammen", erinnert sich Sayce, die Nummer "entstand in etwa zehn Minuten. Ich saß auf der Couch und fing an, das Riff zu spielen, das zum Hauptriff des Songs wurde. Ich (...) dachte: 'Was soll ich dazu sagen? Oh, ich weiß, ich erinnere mich an das eine Mal, als mir jemand auf einer Party ein Getränk namens 'The Bitches Brew' gab, und das hat mich total fertig gemacht.'"

Wert auf klassisches Songwriting legt Sayce derweil auch, so zum Beispiel im Liebeslied "Lady Love Divine" darüber, wenn's bei der ersten Begegnung funkt. Am Schluss des Tracks wiehert die Lead Guitar wie ein gepeitschter Gaul.

Zwei Coverversionen enthält das Album. Die eine fällt absolut aus dem Rahmen der üppigen, lärmigen Produktion und ist die Akustik-Darbietung eines John Lee Hooker-Ry Cooder-Songs, "This Is Hip". Das andere Cover, "The Moon Is Full", fügt sich eins A in den Rest der Platte und stammt von Robert Cray und Albert Collins, verfasst von dessen Frau Gwendolyn. Zur Präferenz für den Song kam es, weil Sayce in der Zeit, als er in Toronto lebte, mit dem verstorbenen Jeff Healey aufnahm und tourte, seinem Lehrmeister. Die Jeff Healey Band performte "The Moon Is Full" oft live, es gibt davon aber keinen Mitschnitt. Sayce hört man zum Beispiel auf Healeys "Live At Montreux 1999" an der Gitarre.

Die spielt die Hauptrolle im Gänsehaut-Instrumental "Intuition", dem essenziellen Anspieltipp der Scheibe. Teilweise erinnert der Stil an Satrianis Virtuosität, so lange die Gitarre noch Gitarre ist, teils an Hawkwinds Spacerock, sobald vor allem verzerrter Fuzz-Sound durchdringt, am Ende wie ein Düsenjäger - und dann bricht der Song ab, symbolisch. Für die interessante Qualität der Abmischung hier und auf dem gesamten Album sorgt Brian Moncarz, der zum Beispiel mit Fantastic Negrito arbeitete, dessen Funkiness und Crazyness hier widerhallt.

Dass "Intuition" mitten im Ton absäuft, hat einen Grund. "Das Gitarren-Solo im Outro war das erste, was ich nach der langen Pandemiezeit im Studio spielte", so Fender-Strat-Liebhaber Sayce. "Ich hielt die ganze aufgestaute Energie, Angst und Intensität fest, alles floss in dieses Solo. Sehr heilsam für mich. Der plötzliche Stop am Ende steht für die Zerbrechlichkeit dieser Welt, die Covid-Pandemie konfrontierte mich damit. Ich wusste nicht, ob's je wieder eine Gelegenheit geben würde, live aufzutreten, als diese Aufnahme entstand, also gab ich alles." - Das merkt man der ganzen Platte an. Beide Daumen hoch!

Trackliste

  1. 1. Oh! That Bitches Brew
  2. 2. Lady Love Divine
  3. 3. Babylon Is Burning
  4. 4. Your Love
  5. 5. It's Over Now
  6. 6. Black Moon
  7. 7. Blackbirds Fly Alone
  8. 8. The Moon Is Full
  9. 9. Backstabber
  10. 10. Intuition
  11. 11. This Is Hip

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