laut.de-Kritik

Melodramatischer Melodic Rock und das lange Wolfsgeheul der Reue.

Review von

Deen Castronovo genießt es, Vokale drei Takte lang zu dehnen. Wo andere einfach "night" singen, jault er "naaaaa-aaaaa-aaaait". Der Ex-Journey-ein bisschen-Front- und vor allem Hintermann der Jahre 1998 bis 2015 lebte dort besonders glaubhaft den Balladen-Anteil der Band aus. Trotzdem schreibt er sich die Revolution auf die Fahnen, das Anstürmen gegen Wind und Wetter, "Against The Winds". Mit den Revolution Saints lautet seine Rezeptur: Wolfsgeheul trifft Stakkato-Gitarre. Die Melodien verlaufen grundsätzlich elegisch. Die Songs strecken sich tendenziell so lang, bis genug Weltschmerz breit getreten ist: "Lonely days and lonely nights / without you by my side".

In der Tat ging es stürmisch zu, sogar Windmühlen. Der häuslichen Gewalt überführt, nachdem seine Frau die Polizei gerufen hatte, befanden ihn die anderen Journey-Mitglieder untragbar. "Es gibt keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Ich setze mich damit jeden Tag auseinander, und das geht tiefer als Bedauern oder Gewissensbisse", sagte er der Zeitung Statesman Journal aus Oregon. Vor diesem Hintergrund sind Zeilen wie in "Can't End It Right Now" ziemlich einschneidend zu verstehen: "I should've known bä-hetter / I shouldn't have to let you go away / if I could only say that / I'm sorry once again".

Bereit, den Tatsachen des Geschehenen ins Auge zu blicken, will der Held der meist in Ich-Form erzählten Songs alles geben und bittet um Vergebung. So flink aber, wie sich der Kniefall in "Fall On My Knees" vollzieht, dürfte er dabei stolpern. Musikalisch funktioniert ein so fetziges High Speed-Stück auf dem Album gleichwohl bestens. Besonders, wenn es so heftiges Gitarren-Gniedeln und gefühlte Drum Stick-Saltoschläge wie in "Will I See You Again" auffährt.

Die Platte thematisiert offensichtlich Gewissensbisse, "Voices I hear deep down inside", an solchen Stellen gerät die Instrumentierung zum Beiwerk. Castronovo kräht unerbittlich, als stolziere er barfuß zwischen Eispickeln und Nagelbrett, schmerzgeplagte Wehklagen mit schwülstigen Vorstellungen und Metaphern wie "lost in damnation". So mag sich anfühlen, was Deen erlebt hat: Vollgepumpt mit Metamphetaminen jegliche Selbstkontrolle zu verlieren.

Das Flugmonster auf dem Cover dürfte auch eine religiöse Dimension aufweisen und stellt die "Divine Wings" "of God" dar. Neben solch brav durchgespieltem AOR für Fans von Journey, Whitesnake und vor allem Foreigner, von denen die einzelnen Bandmitglieder stammen, tappen die 'Revolutionsheiligen' in manche Klischee-Falle. Womöglich ganz bewusst und absichtlich, etwa, wenn sie im Intro zu "Changing My Mind" so dick auftragen wie Meat Loaf.

Auch, wenn die ersten beiden Nummern auf der Scheibe Ladehemmung haben und langweilige Melodien auslutschen, kriegt das Album die Kurve: In der Mitte finden sich die guten Tracks. Mehrere einprägsame Hooks heben das Level. Der Rausschmeißer "No Turning Back" ist zudem eine runde Sache für nächtliche Autofahrten, atmosphärisch, emotionaler Classic Rock.

Der Anspruch von Band und Werk bleibt insgesamt niedrig: eine Personality-Plattform für Vokalist Castronovo. Das geht aber nicht gut, denn seine Heiserkeit ohne Heiterkeit prägt die Platte. Als Highlight sticht ausgerechnet ein Gitarren-Feuerwerk in "Will I See You Again" von Minute 2:31 bis 3:16 von Joel Hokstra hervor, bis 2014 bei Night Ranger sowie als Aushilfe bei Foreigner, seither bei Whitesnake aktiv und im zweiten Haupt-Job mit dem Trans-Siberian Orchestra auf Tour. Er ersetzt Doug Aldrich, ebenfalls aus dem Whitesnake-Zirkel, der, ausgelastet mit den Dead Daisies, keine Zeit gefunden hatte.

Für Night Ranger-Bassist Jack Blades, der sich einer gefäßchirurgischen OP am Herzen unterziehen musste, sorgt nun Jeff Pilson für die tiefen Töne. Ein alter Hase: In den Achtzigern und Neunzigern spielte er je sechs Jahre bei Dokken, arbeitete dazwischen mit Michael Schenker und Dio im Studio und stieß danach zu Foreigner. Aktuell ist Pilson in zwei weiteren Supergroups aktiv und bildet mit George Lynch ein Duo.

Als Keyboarder und Producer agiert wie auf den vorherigen Saints-CDs Alessandro Del Vecchio. Seine Handschrift demonstriert zum Beispiel das eingängige Intro zu "Show Me Your Light". Hinterm Schlagzeug sitzt Deen selbst - Journey touren wieder mit ihm. Deren aktuelles (und eher mittelmäßig spaßiges) Album "Freedom" entstand mit ihm als einem von zwei Drummern. Während die Journey-LP von allem etwas anschneidet, gelingt es den Saints, eine thematisch konsistente Platte durchzuziehen: Melodic Rock mit melodramatischem Grundton und mit dem Wolfsgeheul der Reue.

Trackliste

  1. 1. Against The Winds
  2. 2. Changing My Mind
  3. 3. Fall On My Knees
  4. 4. Can't End It Right Now
  5. 5. Lost In Damnation
  6. 6. Will I See You Again
  7. 7. Show Me Your Light
  8. 8. Save All That Remains
  9. 9. Been Said And Done
  10. 10. Divine Wings
  11. 11. No Turning Back

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