laut.de-Kritik

Als aus The Band eine normale Band wurde.

Review von

Mit ihrem dritten Album wurde The Band zu einer gewöhnlichen Band - geprägt vom Druck, neue Alben liefern zu müssen, auf Tour zu gehen, Erfolg zu haben, Familie und Beruf zu vereinen. Zeichneten sich die ersten zwei Werke "Music From Big Pink" (1968) und "The Band" (1969) durch außerordentliche Kreativität aus, standen die Mitglieder zu Beginn der Sessions unter Stress. Aus einem verschworenen Haufen, der wie in einer WG lebte, sich Ideen und Instrumente regelrecht zuwarf, waren individuelle Musiker geworden, von denen jeder sein eigenes Bündel zu tragen hatte. Familienzuwachs einerseits, Drogen- und Alkoholprobleme andererseits.

Album Nummer drei sollte eine schnelle Sache werden, aufgenommen in jenem Ort, an dem sich die Musiker niedergelassen hatten: Woodstock. Nach dem Zwischenspiel in Los Angeles für "The Band" war es eine Rückkehr zu den Wurzeln, in denen die "Basement Tapes" mit Bob Dylan und Album Nummer eins entstanden waren. Doch auch hier war nicht alles beim Alten, denn das legendäre Festival hatte die kleine Ortschaft im Jahr zuvor weltweit berühmt gemacht. Viele Bewohner waren wenig begeistert von der medialen Aufmerksamkeit und den vielen Menschen, die herumlungerten. Die Idee, das Album als Liveveranstaltung vor Publikum im lokalen Theater aufzunehmen, stieß auf Ablehnung.

Also nutzten die Musiker die Räumlichkeiten als improvisiertes Studio. Zwölf Tage im Mai und Juni 1970 genehmigten sie sich, um die Lieder zu schreiben und zu arrangieren. Das klappte erstaunlich gut, dank Gitarrist Robbie Robertson, der sich zum Verdruss der anderen Mitglieder immer mehr zur zentralen Figur entwickelte. Unter Gleichen war er etwas gleicher, sozusagen, steuerte dafür aber auch fast das gesamte Material bei.

Noch hatte er genügend Ideen. Der Opener "W.S. Walcott Medicine Show" hätte auch auf dem Vorgängeralbum gut ausgesehen, die Geschichte eines Quacksalbers, der mit viel Rauch seine Ware unters Volk bringt, musikalisch mitreißend begleitet. Ein Klassiker im Repertoire der Band, doch auch ein Außenseiter auf dem Album, das eher Probleme und schwierige Gemütszustände thematisierte. Diese sickerten durch die Planken der Bühne und setzten sich in den Zeilen fest, wie Robertson es später beschrieb.

Wer die Originalausgabe des Albums kennt, wird sich über die geänderte Reihenfolge der Stücke dieser Jubiläumsedition wundern. Auch das ein Zeichen des Endes der einstigen Verschworenheit, denn die Anordnung sei ein Zugeständnis an Klavierspieler Richard Manuel und Schlagzeuger Levon Helm gewesen, die ihr eigenes Material am Anfang sehen wollten, so Robertson in den Liner Notes. Und ein Zeichen dafür, wie herrisch Robertson mit dem Erbe vorgeht. Wobei ihm keiner widersprechen kann, denn neben ihm ist nur noch Organist Garth Hudson am Leben, der sich aber schon lange nicht mehr um das alte Material kümmert.

Robertson hat aber eigentlich recht: Durch die neue Anordnung wirkt das Album stimmiger. Das zeigt sich beim ruhigen "Sleeping", das an zweiter Stelle keinen wirklichen Sinn machte, nun aber das Album schön abschließt. An dessen Stelle befindet sich das ebenfalls mitreißende "The Shape I'm In", das trotz der fröhlichen Stimmung ein ernstes Thema ansprach, die mittlerweile Besorgnis erregende Drogenabhängigkeit Richard Manuels. "Schau mal, wie ich mich zugerichtet habe", singt er im Refrain die Zeile, die Robertson auf ihn gemünzt hatte.

Ein Test, sozusagen, wie es auch "All La Glory" war, eine Art Wiegenlied, das Richardson für den ebenfalls angeschlagenen Levon Helm geschrieben hatte. Wie besorgt Robertson war, zeigt sich im Refrain: "All la glory, I'm second story / Feel so tall like a prison wall". Gefängnismauern in einem Kinderlied unterzubringen ist ungewöhnlich, doch ist es das wohl zärtlichste Stück im Repertoire von The Band, auch dank Helm, der die stimmliche Herausforderung erfolgreich annahm. Was der Titel bedeutet, ist nach wie vor unklar. Eine Interpretation lautet, dass es eine andere Schreibweise für "Allegory" ist, doch auf der Hülle des Mastertapes, in dieser Jubiläumsausgabe abgebildet, steht "All The Glory". Offenbar nur ein kleines Verwirrungsspiel.

Dir Sache mit den hohen Wänden kam nicht von ungefähr, wie "The Rumor" zeigt, in dem sich Robertson darüber beschwert, wie viele Gerüchte im Umlauf seien. Gemeint habe er damit die Stimmung in Woodstock, das nach dem Festival von Misstrauen geprägt gewesen sei. Doch bleibt auch Zeit für lichte Momente wie "Time To Kill", das bluesige "Strawberry Wine" oder "Just Another Whistle Stop", in denen Robertson auch mal so etwas wie ein Solo andeutet. Er hatte irgendwann keine Lust mehr darauf, auf der Bühne den Gitarrenhelden zu mimen und änderte sein Spiel. In der Tat ließ er eher Hudson die Tasten seiner Orgel bedienen als selbst im Mittelpunkt zu stehen.

Dazu gehört auch, dass er auf dem Album selbst nicht sang. Wie gewohnt übernahmen Manuel, Helm und Bassist Rick Danko das Mikrofon. Letzterer im Titeltrack, der im Laufe der Jahre unterschiedliche Interpretationen erfuhr. War der 'Mann mit dem Lampenfieber' Bob Dylan? Oder Robertson selbst? Auf jeden Fall thematisiert das Stück die Schwierigkeiten, die der Erfolg mit sich bringt. "Sie gaben diesem Jungen sein Glück und seinen Ruhm / Seit diesem Tag ist er nicht mehr derselbe", heißt es in der ersten Strophe. Auf dem Weg nach oben muss man Opfer bringen, wie auch jener junge Mann, der in "Daniel And The Sacred Harp" seine Seele verkauft, um sein Instrument zu erlernen.

Trotz der Unstimmigkeiten wurde aus "Stage Fright" ein Album aus einem Guss, das rockiger ausfiel als seine Vorgänger. An den Reglern, als Tontechniker, saß ein noch junger Todd Rundgren, der die Bänder zum Abmischen mit nach England nahm. Was genau geschah, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, dennoch gab es mindestens zwei Mixe, einer von Rundgren selbst und einer von Glyn Johns, der sich mit den Rolling Stones einen Namen gemacht hatte. 50 Jahre später sorgt Bob Clearmountain für klanglich hervorragende Ergebnisse, auf CD, Vinyl und auch Dolby Surround 5.1.

Nach den Aufnahmesessions ging die Band mal wieder auf Tour. Unter anderen mit Janis Joplin und Grateful Dead rollten sie mit dem "Festival Express" durch Kanada, lebten das Rock'n'Roll-Leben und spielten sich gegenseitig ihre Lieder vor, wie die hier zum ersten Mal veröffentlichten Aufnahmen aus einem Hotelzimmer in Calgary beweisen. Unter den Stücken befindet sich "Get Up Jake", das bei den Sessions zu "The Band" entstanden war, es aber nicht aufs Album geschafft hatte.

Nett anzuhören, aber nicht zu vergleichen mit dem Konzert aus der Royal Albert Hall auf CD2, aufgenommen im Juni 1971. Da machte der Titel des Albums, "Lampenfieber", tatsächlich Sinn. Nach ihrer Tour mit Dylan 1966 war The Band nicht mehr in Europa gewesen und hatte Bammel, wie damals einem feindseligen Publikum gegenüber zu stehen. Das Gegenteil war der Fall: Schon der erste Auftritt in Hamburg war ein Erfolg, auf den Flügeln der Begeisterung ließen sie ihren späteren Auftritt in London mitschneiden. Es muss eine riesige Genugtuung gewesen sein, fünf Jahren nach den Buhrufen, die mittlerweile ebenfalls erschienen sind. Hörenswert ist der Auftritt auf jeden Fall.

Wie bei den ersten zwei Platten ist die Super Deluxe-Ausgabe eine lohnenswerte Anschaffung, bietet sie neben zwei CDs, Blu-Ray (für die Dolby-Abmischung des Albums und des Bonusmaterials) und Vinyl auch eine 7"-Single in einer liebevoll gestaltete Box. In ihr kommt neben anderen Norman Seeff zu Wort, der ein Jahr zuvor aus Südafrika nach New York gekommen war, um als Fotograf zu arbeiten. Er war kurz davor aufzugeben, als er den Auftrag bekam, diese Typen ein paar Autostunden entfernt abzulichten. Mit seinem letzten Geld kaufte er sich sechs Filme, verfuhr sich, kam zu spät und war mit dem Ergebnis unzufrieden. Mit dem Gefühl, das sei es gewesen, schob er die Abzüge Gestalter Bob Cato unter der Tür durch. Dieser war jedoch so begeistert, dass er eines der Bilder dem Album als Poster beifügte. Ein Jahr später war Seeff der Creative Director bei United Artist Records und wurde zu einem der besten Rock-Fotografen.

So kann es gehen. Manchmal hat man auch Glück. Trotz der widrigen Umstände erreichte "Stage Fright" die höchste Platzierung von The Band in den US-Charts (Platz fünf), auch wenn sich der Vorgänger "The Band" im Laufe der Jahre besser verkaufte. Manchmal muss man Dinge einfach geschehen lassen. Wie Robertson passend in "The Rumor" dichtete: "Close your eyes, hang down your head / Until the fog blows away, let it blow away / Open up your arms and feel the good / It's a-comin', a brand new day.

Trackliste

Stage Fright

  1. 1. The W.S. Walcott Medicine Show
  2. 2. The Shape I'm In
  3. 3. Daniel And The Sacred Harp
  4. 4. Stage Fright
  5. 5. The Rumor
  6. 6. Time To Kill
  7. 7. Just Another Whistle Stop
  8. 8. All La Glory
  9. 9. Strawberry Wine
  10. 10. Sleeping
  11. 11. Strawberry Wine (Alternate Mix)
  12. 12. Sleeping (Alternate Mix)

Live At Royal Albert Hall, June 1971

  1. 1. The Shape I'm In
  2. 2. Time To Kill
  3. 3. The Weight
  4. 4. King Harvest (Has Surely Come)
  5. 5. Strawberry Wine
  6. 6. Rockin' Chair
  7. 7. Look Out Cleveland
  8. 8. I Shall Be Released
  9. 9. Stage Fright
  10. 10. Up On Cripple Creek
  11. 11. The W.S. Walcott Medicine Show
  12. 12. We Can Talk
  13. 13. Loving You Is Sweeter Than Ever
  14. 14. The Night They Drove Old Dixie Down
  15. 15. Across The Great Divide
  16. 16. The Unfaithful Servant
  17. 17. Don't Do It
  18. 18. The Genetic Method
  19. 19. Chest Fever
  20. 20. Rag Mama Rag

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