laut.de-Kritik
Historische Show mit viel Bono, etwas Brel und EODM.
Review von Ulf Kubanke"Nun bleibt nichts übrig, außer euch ein paar Leute vorzustellen, deren Leben für immer ein Teil von Paris sein wird. Es sind unsere Brüder. Sie wurden vor ein paar Wochen ihrer Bühne beraubt. Nun bieten wir ihnen unsere." Starke Worte der vier Iren, die zu Herzen gehen. Doch selbst ohne den folgenden Auftritt der Eagles Of Death Metal wäre U2s Finale der "Innocence + Experience"-Tour in der Bercyarena Paris ein besonderes. Bühne frei für einen musikhistorisch bedeutenden Gig.
Nach alter Bandtradition wäre es üblich gewesen, den krönenden Abschluss zu Hause in Dublin zu feiern. Doch dieses Mal ist nichts mehr so, wie es einst war. Nach dem schwarzen Freitag im November 2015 sagten U2 ihre geplanten Paris-Auftritte auf Anordnung der französischen Sicherheitskräfte ab. Zahllose internationale Kombos cancelten ihre Konzerte ebenso - aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Die Stadt der Liebe blieb verwundet und verwaist zurück.
Doch die Rechnung des Terrors sollte nicht aufgehen. Sie wurde ohne den irischen Wirt gemacht. Also setzen Band und Behörden alles daran, die Shows nur drei Wochen nach den Anschlägen auf die Beine zu stellen. Viel hat man Bono und Co in den letzten Jahrzehnten vorgeworfen. Feigheit gehörte nie dazu. Aufgewachsen in einem bürgerkriegsartigen Umfeld, bewaffnet mit passenden Songs und wissend, es gibt für niemanden totale Sicherheit, egal ob Rockstar, Präsidenten oder Nobody kommen sie genau im richtigen Moment nach Frankreich. Kann es ein stärkeres Symbol geben?
30 Songs aus ihrem 40 Jahre überspannenden Fundus brennen sie an diesem 7. Dezember lichterloh als audiovisuelle Fackel ab. Selbst leidenschaftliche U2-Skeptiker können durch diese Show erfahren, warum das Quartett als einer der besten Liveacts überhaupt gilt.
Die Versionen ihrer Evergreens reichen in punkto Spielfreude, Intensität der Atmosphäre und Leidenschaft unerwartet lässig an große Live-DVDs heran wie "Zoo TV - Live From Sydney", "Popmart - Live From Mexico City" oder das ungestüm-kämpferische "U2 Live At Red Rocks: Under A Blood Red Sky". Für ihre Verhältnisse eher routiniert abgespulte Gigs wie "Elevation 2001: Live From Boston" oder "Vertigo: Live from Milan" bleiben - hiermit verglichen - weit abgeschlagen zurück.
Ausgewählte Lieder des letzen Studioalbums "Songs Of Innocence" fügen sich wohltuend in den Gesamtkontext ein. Sogar das als Konserve nicht eben preisverdächtige "The Miracle (Of Joey Ramone)" gewinnt als Stadionklopper ungemein. Optisch und biografisch offeriert die "Cedarwood Road" perfektes Showbiz und findet noch Zeit für einen kleinen Gruß an die Jugendfreunde und Virgin Prunes Guggi und Gavin Friday, die ihn als Teenager zu Bono tauften.
Noch ergreifender von den neuen Stücken geraten das balladeske "Song For Someone" und der thematisch wie textlich fast zu gut passende Stampfer "Raised By Wolves". Ähnliche Gänsehaut stellt sich bei den Kultnummern "Sunday Bloody Sunday" oder "Pride" ein. Mögen diese Melodien gut abgehangen im kollektiven Musikgedächtnis verankert sein - ihre zeitlos aktuellen Zeilen bleiben in der Welt anno 2016 strukturell leider genau so relevant wie ehedem.
Gegen zu viel Pathos streuen sie gelegentlich erfrischend straighte Tracks wie ihr Postpunk-Urgestein "I Will Follow" ein. Als besonders stark erweisen sich sämtliche Varianten ihres kreativen Überalbums "Achtung Baby". "The Fly" etwa erhält ein neues, zurückgenommeneres Arrangement. "Mysterious Ways" funktioniert als Hymne an die Weiblichkeit samt Talking Heads-Zitat und Edges Killerhook ohnehin in jedem Rahmen. Und "One" wird wohl auch die nächsten 25 Jahre weiterhin seine Kreise als textlich missverstandendste Ballade aller Zeiten ziehen.
Zwischendurch schleicht sich immer wieder ein Hauch "Joshua Tree" ein. Dramaturgisch wohldosiert lassen sie mit dem Publikumsjoker "With Or Without You" nichts anbrennen. Das folgende "City Of Blinding Lights" passt hier - obwohl von "How To Dismantle An Atomic Bomb" stammend - hervorragend in die Stilistik und trifft die Stimmungslage des Pariser Publikums. "I've seen you walk unafraid (...) in this city of blinding lights..." Das klappt auch deswegen besonders gut, weil Bono zum Ende als Hommage "Ne Me Quitte Pas" von Brel zitiert. Der war zwar Belgier. Aber die Franzosen haben Grand Jacques popkulturell schon immer gern vereinnahmt.
Als EODM wenig später die Bühne entern, ist musikalisch längst alles Essentielle gesagt. Das Eagles Of Bono-Ensemble funktioniert beim Patti Smith-Song "People Have The Power" und dem EODM-Stück "I Love You all The Time" konsequenterweise vor allem über die Emotion des Augenblicks. Das reicht auch vollkommen aus. Nach dieser Begegnung hat die Show keinen weiteren Platz für Töne oder Lieder. Jedes Gefühl wurde ausgekostet.
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
So große Worte und dann nur 4 Sterne für diesen musikhistorisch bedeutenden Gig
Nein danke, sowas kommt mir nichts in Regal.