laut.de-Kritik
Die Songs der Norweger in der definitiven Version.
Review von Toni HennigWardruna zählen zu den wohl bekanntesten Vertretern des Nordic Folks. Mit ihren intensiven Liveshows ziehen sie den Hörer unmittelbar in ihren Bann. Nun erscheint mit "Kvitravn - First Flight Of The White Raven" ein Mitschnitt ihres Live-im-Studio-Konzertes vom 26. März 2021 im Riksscenen-Konzertsaal in Oslo auf CD, LP und DVD sowie als umfangreiches Boxset, das sich aus sämtlichen physischen Formaten der Platte, einer Flagge sowie einer signierten Autogrammkarte zusammensetzt. Die Veröffentlichung enthält eine spezielle Setlist, bestehend aus Songs ihres aktuellen Studioalbums "Kvitravn" und Fan-Favoriten aus ihrem gesamten Katalog.
Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Show, mit der das aus dem norwegischen Bergen stammende Projekt zugleich den Release von "Kvitravn" feierte, vor leerem Publikum statt. Das erweist sich aber nicht als Nachteil: Wardruna schaffen mit Hilfe wechselnder Beleuchtung, schöner Nebeleffekte und der ein oder anderen Videoprojektion im Hintergrund für jeden einzelnen Track ein stimmungsvolles individuelles Ambiente. Das minimalistische Bühnenbild unterstreicht, dass die Skandinavier nicht viel brauchen, um ihre Musik ästhetisch in Szene zu setzen.
Zudem strahlen vor allem Projektkopf Einar Selvik sowie Lindy-Fay Hella eine bemerkenswerte Bühnenpräsenz aus. Emotionalität vermisst man in ihrer Performance nämlich nicht. Auch die vielen, zum Teil selbstgebauten Lauten-, Schlag- oder (Holz)Blasinstrumente erweisen sich als echte Hingucker. Inhaltliche Erklärungen zu den einzelnen Songs, die sich textlich sowohl aus altnordischer Sprache als auch modernen Formen des Norwegischen zusammensetzen, runden das Live-Paket visuell ab. Gerade, wenn man die Tracks ohne Unterbrechung am Stück hört, entwickelt sich eine besondere Live-Dynamik, wie die CD- und die Vinyl-Ausgabe beweist.
Wardruna schicken mit dem Titelsong ihres aktuellen Albums, das der CD-Version als Dreingabe beiliegt, einen wachechten Hit voran, der von einer rhythmischen Fiedel-Melodie und dem tollen gesanglichen Zusammenspiel Einar Selviks und Katrine Stenbekks lebt, die sich danach zugunsten der Stimme Lindy-Fay Hellas mehr in den Hintergrund zurückzieht. Es folgt mit "Skugge" ein weiteres "Kvitravn"-Stück. Das beginnt mit einer langen atmosphärischen Einleitung und steigert sich nach einem ätherischen, von der Stimme Lindy-Fay Hellas getragenen Mittelteil zu einem tänzerischen Finale, was an "Cantara" von Dead Can Dance denken lässt. Auch das düstere Feeling des Tracks erinnert sehr stark an die Australier.
Das ursprünglich auf "Runaljod - Yggdrasil" veröffentlichte "Solringen", dem sich im Anschluss noch weitere Songs aus der "Runaljod"-Trilogie anschließen, schlägt mit Rhythmen, die ein ähnlich hypnotisches Feeling entfalten wie einige Stücke auf Dead Can Dances "Into The Labyrinth", musikalisch in eine ähnliche Kerbe, wirkt jedoch um Einiges heller und optimistischer, was auch der Text unterstreicht, der im Gegensatz zu "Skugge", das inhaltlich auf den Schatten Bezug nimmt, um die Sonne und um den Neuanfang kreist.
Auch im weiteren Verlauf verbreiten die Norweger, eine ähnlich hypnotische Stimmung wie Dead Can Dance auf ihren Konzerten. Man kann im Grunde gar nicht anders, als den beschwörenden Rhythmen und Gesängen andächtig und gebannt bis zum Schluss zu lauschen. Das von Maultrommel-Klängen und schamanistischen Trommeln getragene "Bjarkan" beweist dabei eindrucksvoll, dass sich das stimmliche Zusammenspiel Einar Selviks und Lindy-Fay Hellas mittlerweile auf dem selben Weltklasseniveau befindet wie bei Brendan Perry und Lisa Gerrard. "Raido" fällt dagegen mit seiner sich stets wachsenden Struktur, mit der das Projekt die Strapazen einer Wanderung musikalisch zum Ausdruck bringt, und dem markanten Flöteneinsatz vergleichsweise schwerer und langsamer aus.
Das geschickt in der Mitte platzierte "Skald"-Stück "Voluspá" bildet schließlich das, was "American Dreaming" bei Dead Can Dance-Konzerten darstellt, nämlich das von reduzierter akustischer Begleitung und männlicher Stimme getragene, intime Gegengewicht zu den restlichen Tracks. Danach gibt es weitere Songs aus der "Runaljod"-Trilogie. "Isa" schließt mit zaghaften Percussionrhythmen und fragilem Gesang Lindy-Fay Hellas zunächst an den Minimalismus von "Voluspá" an, steigert sich aber nach und nach zu einer Nummer, die mit rituellen Trommel- und nachdenklichen Fiedel-Klängen sowie dreistimmigem Gesang nahezu magische Sphären erreicht.
"UruR", das einen Bezug zur Rune Uruz herstellt, deren Anfangssilbe "Ur" sich auf den Auerochsen bezieht, strahlt wiederum mit Field Recordings, kreisenden Rhythmen, tiefen Gesängen und Bronzelure-Tönen etwas Animalisches aus. Anschließend hört man mit "Grá" und "Vindavlarljod" zwei weitere Stücke vom aktuellen Album der Norweger. Das letztgenannte bildet den emotionalen Höhepunkt des Konzertes. Vor allem der Gesang von Katrine Stenbekk lässt sich in der Nummer einfach nur noch als traumhaft bezeichnen. In dem Track zeigt sie wieder, welch stimmliches Potential in ihr steckt.
Die Show runden schließlich drei Songs der "Runaljod"-Trilogie ab. "Rotlaust Tre Fell", wahrscheinlich das geeignetste Stück, um als Neueinsteiger in die Welt Wardrunas einzutauchen, und "Fehu", das als musikalisches Aushängeschild der Serie "Vikings" fungiert, haben zwischen Naturverbundenheit und cineastischer Bildhaftigkeit alles zu bieten, wofür man das Projekt kennt. Am Ende treten wir in "Helvegen" zu bedächtigen Trommelrhythmen, dreistimmigem Klagegesang und düsteren Bläsertönen den Weg zu Hel, der Göttin aus der gleichnamigen Unterwelt an, so dass der Abend einen stimmungsvollen Abschluss findet.
Auf "Kvitravn - First Flight Of The White Raven" erschaffen Wardruna eine perfekte Symbiose aus traditionellen Instrumenten, zeitgenössischen Songwritingstrukturen und Produktionsmethoden sowie Texten, die einerseits auf skaldischen Traditionen basieren, andererseits aber genug Interpretationsspielraum zulassen, um sie selbst mit emotionalem Eigenleben zu füllen. Zudem profitieren die Tracks der "Runaljod"-Trilogie, die in Sachen Tonqualität auf den Studioalben noch etwas zu wünschen übrig ließen, vom klaren Live-Klang unheimlich, so dass man die Songs der Norweger nun in ihrer definitiven Version vorliegen hat. Dieses Jahr treten die Skandinavier wieder in Nordamerika und Europa vor echtem Publikum auf.
1 Kommentar mit 2 Antworten
Schöne Rezi, neugierig geworden, erstmal YT. Erste Assoziation: Ums Feuer tanzende halbnackte Kerle mit spitzen weißen Kapuzen auf, die gleich böse Dinge tun werden...(Nicht, dass ich Vorurteile hätte ????). Zweiter Eindruck: Irgendwie spricht es tief drin absolut archaische Regionen an, hypnotisch, haben wollen. Sonst nicht der "Weltmusiker", aber das hier hat was, kaum zu erklärendes - Hammer! Immer noch geflasht 5/5
Absolut. Räucher jedes Mal die Bude zu, wenn ich das höre, und lasse mich zu den Klängen entweder absolut treiben oder umhüllen. Das selbe mache ich eigentlich nur zu Tool.
na dann, frohes Inhalieren!