laut.de-Kritik

Leid und Verlust gebären große Kunst.

Review von

Der tragische Aspekt in der Caspian-Geschichte lässt sich nicht von der Hand weisen. Der Tod Chris Friedrichs vor fast genau zwei Jahren traf die Band ins Mark. Gerade, als ihnen mit "Waking Season" endlich die verdiente Aufmerksamkeit zuteil wurde, da stirbt ihnen einfach so ein unverzichtbares Mitglied aus den eigenen Reihen weg.

Die Hoffnung und die Kraft, die damals auch im Album-Sound zu hören waren, schienen auf einmal verpufft. Der klingende Nachschlag zu den "Waking Season"-Sessions, "Hymn For The Greatest Generation", ertrank schon in einem Meer von Tränen und wirkte wie ein Requiem für den Verstorbenen.

Nun also "Dust And Disquiet". "Staub Und Rastlosigkeit". Bildlich findet Friedrichs Dahinscheiden im Cover-Artwork seinen Ausdruck. Es zeigt sechs schwarze Federn - und eben eine weiße. Weitergehende Interpretationen sind von der Band gefordert und gewollt.

Caspian haben sich Zeit gelassen für dieses Album. Das zahlt sich definitiv aus. Im Vergleich zu den Stücken des Vorgänger-Albums klingen die zehn Lieder weit weniger kompakt und homogen. Ausufernde Instrumentals und düstere Klang-Kaskaden wechseln sich mit lieblichen Harmonien und fragilen Texturen ab.

Kennzeichnend: Gibt man sich der Musik hin, merkt man kaum, wann ein Song vorbei ist und der andere anfängt. Alles scheint im steten Fluss zu bleiben. Dabei setzt das Sextett vorwiegend auf Melodie und Harmonie. Die derben Momente sind in der klaren Unterzahl.

So überrascht schon der Anfang des Albums, "Separation No.2", mit einigen Tönen aus einer jazzigen Trompete, später kommen noch Streicher hinzu. Ein typischer Opener klingt sicher anders, aber eine typische Band waren Caspian ohnehin nie. Erst nach satten fünf Minuten des zweiten Tracks "Ríoseco" latschen die Jungs zum ersten Mal ordentlich auf den Verzerrer. Im zweiten längeren Track, "Arcs Of Command", ziehen sie dann zum ersten mal so richtig die Wall Of Sound hoch. Das Ding muss man laut hören. Wenn sich die Musiker in einen wahren Rausch riffen und wirbeln, bleibt kein Auge trocken. Genau so muss instrumentale Musik klingen, wenn sie dich bei den Eiern packen soll. Die Adrenalinausschüttung gibt es ab Minute vier frei Haus, wenn alle Klampfen im Verbund schrubben, was das Zeug hält. Geil.

Waren Caspian in der Vergangenheit schon für emotionale Momente gut, ziehen sie auf ihrem vierten Album nun alle Register. Dass Leid und Verlust oft große Kunst gebären, zeigen die Amerikaner auf kompletter Länge ihres Werkes.

Ein heftiges Auf und Ab an Gefühlsregungen krönt am Ende ihr vielleicht bester Track bislang. Wenn das Titelstück auf epischen elfeinhalb Minuten eine Symphonie der Melancholie hinlegt, darf man sich getrost eine Packung Taschentücher parat legen. Ob Breakdowns oder Crescendi, Caspian bedienen sich hier einer Vielzahl an Ausdrucksformen, um sie in ein fantastisches kleines Meisterwerk einfließen zu lassen.

Der Beginn klingt seltsam, die Töne der Gitarre jaulen wie bei einer kaputten Musikkassette. Das Piano klingt, als spiele ein Geist auf einem längst verlassenen Dachboden ein nicht enden wollendes Lamento. Erst als nach fast zweieinhalb Minuten das Schlagzeug einsetzt, ziehen Caspian den Hörer aus dieser Traumwelt heraus, alleine: Die Stimmung bleibt so bedrückend wie zuvor. Wilde Griffbrett-Wirbeleien versetzen dem Song einen weiteren Drive, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Mit all diesen Zutaten bringen die Amerikaner eine innere Saite nach der anderen zum Schwingen, bis man im Schwermut fast zu ertrinken droht. Nach viereinhalb Minuten scheint alles vorbei zu sein. Aber nichts da! Celli, sanfte Bläsertöne und eine hauchzart angeschlagene Gitarre läuten den zweiten Durchgang ein, der nach einer Klimax nach fast elf Minuten sanft seinem Ende entgegen schwebt. Dieses Monstrum kommt einem emotionalen Schlag in die Magengrube gleich und gehört mit Fug und Recht zu den beeindruckendsten Postrock-Momenten der Musikhistorie. Punkt.

Überhaupt, Meisterwerk: Auf "Dust And Disquiet" wirkt nichts deplatziert oder dem Zufall überlassen. Selbst der Stille räumen sie genügend Platz ein. Gerade die Töne, die nicht zu hören sind, machen aus dem Großen etwas Grandioses. Selbst Stücke, die eigentlich als Interlude oder Intro vorgesehen sind ("Aeternum Vale", "Equal Night", "Separation No.2"), spielen im Fluss des Albums keine untergeordnete Rolle, so dass sich (zumindest im CD-Format) ein kohärentes Ganzes ergibt. Selbst das im Vorfeld veröffentlichte "Sad Heart Of Mine" entwickelt, eingebettet in der Tracklist, eine wunderbare Dynamik, die man beim separaten Hören so noch nicht entdecken konnte.

Postrock-Puristen dürften sich am ehesten noch an "Run Dry" stören, markiert die Nummer doch den schärfsten Bruch mit der Vergangenheit. Gesang fand im Caspian-Universum bislang eher als separates Instrument statt. Bei der anrührenden Akustik-Ballade steht Gitarrist Calvin Joss am Mikrofon, der trotz zittrig klingender Stimme eine gute Figur abgibt.

Die fragile Melodie greift im weiteren Verlauf wieder "Darkfield" auf, das mit Industrial-lastigen Samples und grollender Bassline einen absoluten Kontrast zu "Run Dry" darstellt. Das über sechs Minuten lange Stück steht sinnbildlich für den Caspian-Sound des Jahres 2015: dunkler, düsterer und voller Melancholie.

Caspian haben mit ihrem vierten Longplayer das erhoffte Instrumental-Album des Jahres aufgenommen. Mit diesem Werk hält 2015 vielleicht gerade noch "Helios/Erebus" von God Is An Astronaut mit. Diese beiden Bands spielen momentan im Postrock in ihrer eigenen Liga.

Trackliste

  1. 1. Separation No. 2
  2. 2. Ríoseco
  3. 3. Arcs Of Command
  4. 4. Echo And Abyss
  5. 5. Run Dry
  6. 6. Equal Night
  7. 7. Sad Heart Of Mine
  8. 8. Darkfield
  9. 9. Aeternum Vale
  10. 10. Dust And Disquiet

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13 Kommentare mit 71 Antworten

    • Vor 9 Jahren

      Kann mir dir was Musik angeht vertrauen? Dann werd ich da mal reinschnuppern.

    • Vor 9 Jahren

      kanns mir erst die tage anhören, werd wahne!!!! :( ist es echt so gut? irrerweise überzeugt mich bei caspian wirklich JEDES album und ich befürchte immer, dass irgendwann der fall eintritt, dass es nicht mehr so ist. ich find übrigens "tertia" nen tacken geiler als "waking season" ^^ kanns echt kaum erwarten, es zu hören..

    • Vor 9 Jahren

      Ging für mich immer weiter bergauf. Waking Seasons steht steht für mich (noch) über allem, dafür ist mit "The Heart That Fed" einer meiner Lieblingssongs auf der letzten EP.
      Im Moment sieht es tatsächlich so aus, als könnte Dust And Disquiet zu meiner neuen Nummer 1 werden.

    • Vor 9 Jahren

      "the heart that fed" find ich auch unglaublich gut. hat irgendwie diese wut, diese verzeifelte leidenschaft, dir mir auf "waking seasons" ein bisschen fehlte. angesichts der tragik eines solchen todesfalls natürlich kein wunder, dass dann so ein kathartisches stück musik entsteht.
      kann das neue album nachher endlich mal hören. :) höchst gespannt, obs bei mir auch so einschlägt wie bei dir!

    • Vor 9 Jahren

      Am liebsten hätte ich nen Livestream, um deine Reaktion während Rioseco mitzuverfolgen. :D Für mich einer der besten Songs dieses Jahres.

      Ich glaube aber, in meinem Ranking wird Dust And Disquiet doch noch hinter Waking Seasons bleiben.

    • Vor 9 Jahren

      heftiges ding. die kohärenz der musik ist beeindruckend, kein caspian-album wirkt emotional so stark als zusammenhängendes werk wie dieses. trotzdem sind die einzelnen songs im rahmen des gesamtkonzeptes sehr individuell geraten, wie ich finde, sehr ideenreich, stilistisch unterschiedlich und trotzdem immer schlüssig ("rioseco" find ich aus dem kontext genommen auch am besten). es geht in lauter und in leiser hinsicht, in schneller und in langsamer, in harter und zarter hinsicht für post-rock-verhältnisse ziemlich abwechslungsreich zur sache. es fällt mir allerdings noch schwer, das album einzuordnen und zu bewerten.. von der virtuosität und dem songwriting her gehts ja eigentlich echt nicht besser. trotzdem bin ich noch nicht ganz warm mit der musik und es gab momente der überforderung und der langeweile gleichermaßen ^^.

  • Vor 9 Jahren

    Haben für das zweitlauteste Konzert meines Lebens gesorgt. Wird reingehört.

    • Vor 9 Jahren

      Welches war das lauteste? Ich war schon bei Motörhead und Mogwai jeweils ganz vorne und die waren schon an der Schmerzgrenze. Caspian gingen darüber hinaus.

    • Vor 9 Jahren

      Mogwai war defitiv mein lautestes live Konzert

    • Vor 9 Jahren

      sepultura in essen.bin da wirklich keine pussy, was lautstärke angeht, aber das war abartig :-)

    • Vor 9 Jahren

      The Ocean. Potsdam Waschhaus. Danach 5 Tage fiesesten Tinnitus. Bei Caspian waren es nur 2-3 Tage Hörschaden

    • Vor 9 Jahren

      Und ich bin da echt nicht empfindlich. Ich zimmer mir auch live gern mal Grind rein, wenns sein muss. Aber The Ocean war von der Lautstärke schon bestialisch. Man muss aber dazusagen, das man im Waschhaus schon den vollen Sound in's Gesicht gedrückt bekommt, weil der Club so eng ist.

    • Vor 9 Jahren

      ich glaube, für mich war die lauteste konzerterfahrung "yearning" von mono live. ich stand allerdings auch direkt vor der bühne und das lied fetzt zum ende hin für monos verhältnisse wirklich alles weg. caspian sind live echt ne bank, n unfassbar mitreißender, leidenschaftlicher auftritt - die geben ja wirklich alles. erinnere mich aber nicht, dass es mir danach noch in den ohren schellte^^ hatte eher kopfschmerzen, weil ich dann doch ganz gut abgegangen bin, dazu kann man einfach nicht stillstehen. the ocean würde ich auch verdammt gern mal live erleben..

    • Vor 9 Jahren

      Das lauteste Konzert meines Lebens war auch ein Caspian Konzert. Direkt vor der Bühne stehend habe ich fast nur Dröhnen in doppelter Jumbo-Jet Lautstärke wahrgenommen. War mir schon ein wenig zu laut aber trotzdem ein euphorisierendes Konzert, weil Caspian, wie von post-rocker treffend beschrieben,
      „unfassbar mitreißend und leidenschaftlich“ ihre Musik spielen.

  • Vor 9 Jahren

    werde ich mir mal zu gemüte führen

  • Vor 9 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 9 Jahren

    als gesamtwerk (!) zieht mich dieses album echt mehr als jedes andere caspian-album in den bann und es ist emotional fordernder als alles bisher von ihnen, imo. es hat nicht die allein für sich funktionierenden mal euphorischen, mal melancholisch-verzweifelten und auch mal brachialen übersongs wie bei "the four trees" oder "tertia" oder die melancholisch bis hoffnungsvolle grundstimmung von "waking season", das musikalisch auch recht abwechslungsreich daherkommt, aber nie in die emotionale tiefe und düsternis von "dust and disqiet" vordringt.
    dieses album ist das für post-rock-verhältnisse in dem spektrum, in dem sich caspian befinden, musikalisch abwechslungsreichste und emotional heftigste von ihnen. auf keinem anderen caspian-album gab es ein derartiges wechselbad der gefühle, trotz dessen es dennoch so harmonisch wirkt, weil alles perfekt ineinander fließt, sodass ein zusammenhängender emotionaler trip entsteht, dem man sich nicht entziehen kann - alles unter dem vorzeichen der verarbeitung eines persönlichen verlustes. es braucht vielleicht seine zeit, aber wenn man sich eingehört hat und wenn man in der stimmung ist, wirkt es absolut kathartisch.

  • Vor 9 Jahren

    dieses album funktioniert wirklich wie eine art vertonter trauerprozess. es ist trost. kulminierend im titelsong. frage mich, ob das so noch zu toppen ist.. diese band ist echt ein wunder. ich werde sie in köln sehen. komme, was wolle^^

    • Vor 9 Jahren

      jenzo und ich werden wohl auch zugegen sein. Du erkennst mich daran, dass ich bei The Heart That Fed, Ghosts Of The Garden City und Rioseco mal hastig auf die Toilette verschwinden muss, um meine Hose zu waschen.

    • Vor 9 Jahren

      vielleicht sieht man sich ja dann dort! :) spätestens, wenn ich nach "ghosts of the garden city" auch mal dringend wohin muss ^^ hab damals, als "tertia" gerade ganz frisch erschienen ist, mit den gut bekifften caspianern in köln vor ihrem auftritt geredet und sie haben dann tatsächlich "brombie" aus dem set genommen und gegen "ghosts of the garden city" ausgetauscht, true story, so sehr hab ich den songs damals gefeiert und tue es immer noch noch, solange es auch her ist :P hast du eigentlich mal diese "live at the larcom"-konzertaufzeichnung gesehen? n kumpel hatte mir davon mal nen ausschnitt gezeigt, wo sie eben ausgerechnet "ghosts of the garden city" spielten, find ihn aber leider nicht mehr. muss generell unbedingt mal die dvd schauen, auch wenn von "dust & disquiet" darauf ja wohl leider noch nichts vertreten sein wird.

    • Vor 9 Jahren

      post-rocker, du solltest mit überschwänglichem Caspian-Lob im Forum vielleicht vorsichtiger sein, da es User gibt, die sich daran stören.
      Und tatsächlich ist deine Aussage, Caspian seien ein Wunder, etwas provokant und diffamierend gegenüber den Weltwundern. Da brauchst du dich dann wiederum nicht zu wundern, wenn der Koloss von Rhodos und die hängenden Gärten der Semiramis dir einen Beschwerdebrief zuschicken.