laut.de-Kritik
Zeremonie der Freiheit in tiefen Frequenzen.
Review von Philipp KauseDas Wort zappa'esk hat sich zum Selbstläufer der Musikrezension entwickelt. Es flößt Angst, mindestens Respekt vor dem Mann ein, der diesem Fachwort zugrundeliegt: Frank Zappa, Multiinstrumentalist, fleißiger Lieferant von durchschnittlich zwei Alben pro Schaffensjahr, galt als schwierig unter Mitmusikern. Weil er sie oft austauschte, zerfällt sein Werk in viele einzelne Mini-Schaffensperioden, auch weil
er sehr viel Verschiedenartiges ausprobierte. Blues, Talking Blues, Neue Moderne, Free Jazz, Psychedelic, harten Rock, konzeptuelle Rock-Opern, Synth-Elektronik, soulfunkige Ansätze, Musik des arabischen Raums, Marschrhythmen - Zappa nahm sich alles, egal ob es der U- oder E-Musik, dem Volkstümlichen oder dem Bildungsbürgertum zuzurechnen war, und unterzog es anarchischen Kreuzungen und Dehnungen ins Überdrehte, Kakophonische und lyrisch Überblähte.
"Funky Nothingness" stellt da einen kleinen Mosaikstein dar, aus einer Zeit, als die Rockmusik ohnehin im Umbruch war. In England brodelte der ganz frühe Birmingham-Metal, und der 12 Minuten-Zappa-Nummer "I'm A Rollin' Stone" kann man die Bässe von Black Sabbath nicht absprechen. The Doors galten in Kalifornien noch als die Referenz dessen, was für ein Pop-Publikum in langen, verquasten Songs möglich war und den Blues zitieren durfte, ohne schon dem Jazz zugerechnet zu werden.
Der Einstieg in "Funky Nothingness" mit dem fragmentartigen Titelsong, mit der knappen Minute von "Tommy/Vincent Duo I" und "Love Will Make Your Mind Go Wild" stößt ins Doors-Horn, zeigen aber mitnichten einen innovativen oder gar revolutionären Zappa. Denn bereits zuvor hatte er den Jazzrock mit erfunden. Dieses Album hebt die Welt nicht so wirklich aus den Angeln, weil es 'nur' ganz folgerichtig fortsetzt, was Frank selbst begonnen hatte. Es wäre seine elfte Platte geworden, doch die Aufnahmen fanden 1970 keine Verwendung. Einige der Tracks landeten in anderen Versionen auf der LP "Chunga's Revenge": das Titelstück "Chunga's Revenge", "Sharleena" und "The Clap". Mit diesen Songs versorgt einen die "Funky Nothingness" in üppiger Auswahl. "Chunga's Revenge" ist in drei Versionen vertreten, "Sharleena" und "The Clap" jeweils doppelt. Dabei spielt bereits die einfache Ausführung jeden nieder, der dazu bereit ist.
Und damit hat "Funky Nothingness" viel zu tun - mit dem Abfordern Hör-Bereitschaft. Es ist eine sehr textarme 3-CD-Sammlung, die eben so 'funky' im Charakter einer großen Jam-Session versinkt, als wäre sie live vor Publikum, dabei handelt es sich durchweg um Studioaufnahmen. 'Funky' ist nicht zu viel versprochen, manches Gegniedel wie "Tommy/Vincent Duo II" variiert in erster Linie die Wah-Wah-Linie des Basses (Max Bennett) und lebt in diesem Minimalismus das euphorische Freiheitsgefühl des Funk aus. Gleichzeitig umgibt auch ein gewisser Nihilismus das Song-Bündel. Auch die 'Nothingness' kommt also nicht zu kurz.
Zappa erweckt den Eindruck, unendlich viel Zeit zu haben, aber keine Geschichten zu erzählen. Viel mehr probiert er mal aus, wie schön bräsig einzelne Bläser-Riffs klingen können und wie effektiv er den Wohlklang mit nervtötend insistierender Jazz-Geige (Don 'Sugarcane' Harris) in schrillen hohen Tönen kaputt metzeln kann - sein Konzept für den "Sharleena (1970 Record Plant Mix)". Die Chef-Violine der brutalen Electric-Bluesjazz-Improvisation steigert sich in Stakkato und Verzerrung, bis sie von der leitenden E-Guitar besiegt und abgelöst wird und sich alles nach Strom anhört.
Frank Zappa glaubte an nichts, ihm war nichts heilig, auf seine sezierenden Stories zu Sexualpraktiken, Zivilisations-Chaos und Gewalt-Fantasien muss man hier allerdings verzichten. Was die fehlenden oder spartanisch knappen Texte nicht sagen, drückt sich in der Musik trotzdem aus: Es gibt kein Ziel, es gibt keine Zusammenhänge. Überall Freiheit. Viel mehr liegen Stimmungen in der Luft und brechen sich Bahn. Mir gefällt das. Genauso kann man's zweifellos furchtbar finden: übertrieben, das Erbe des Blues für Kunst-Kac**, pardon den Kunst-"Khaki Sack" vereinnahmend, etüdenhaft gequirlte Impro-Einlagen ohne Dramaturgie und Inhalt. Bloß: Mir gefällt das trotzdem.
Denn es entspannt, weil es alle paar Takte überrascht und gleichzeitig eine unfassbare innere Ruhe ausstrahlt. Weil es toll gespielt ist. Weil es Abschnitte gibt, wie in "Khaki Sack", wo der Sound der E-Orgel, der anderswo nur als Beigabe mit wuselt, im Mittelpunkt steht, und weil ich diesen Sound feiere und das hier ungestört tun kann. Denn Zappa lässt eine angefangene Idee einfach weiter laufen und um die Kurve fahren und jazzt sie noch mal hoch, und dann ändert er plötzlich das Taktmaß. Die Orgel stolpert. Aber weiter geht's, heißer, schneller, bis alle Varianten durch sind und die Lead Guitar die E-Orgel (Ian Underwood) ins Fade-Out drängelt und abwürgt.
Und so nah, wie sich dieses ganze Album, das bis heute nie ein Album war und jetzt als posthume Reste-Sammlung glänzt, am Blues bewegt, so sehr dürfte es Grateful Dead-Fans begeistern. So geheimnisvoll, wie es in fiebriger Coolness manche schrägen Motive manisch verfolgt, passt es für The Doors-Fans. Und so viel Fusionjazz, wie "Funky Nothingness" enthält, stellt es im ganz großen musikhistorischen Kontext die Weiterentwicklung von Herbie Hancocks "Fat Albert Rotunda" und die Vorstufe zu den Platten des Weather Report dar.
"Es ist nicht genau bekannt, warum dieses Material nie veröffentlicht wurde, aber es ist möglich, dass Zappa, (...) sich von den Instrumentalkompositionen ab- und mehr dem vokalen Material zuwandte", spekuliert der Promotext. Vielleicht hatte der Meister auch einfach den Überblick verloren.
Ein Track bewahrt sich seine Innovationskraft und Einmaligkeit bis heute: "Twinkle Tits". Ach ja, da haben wir sie im Titel, die Anspielung auf Geschlechtsteile, sonst wär's wohl kein echter Zappa. "Twinkle Tits" brilliert als wildes Worldmusic-Brett mit gegenläufigen Rhythmen, weichen und borstigen Klang-Texturen, die miteinander ringen. Wie eine Zusammenführung von Irish Folk und Progressive Bluesrock besticht der Track rein instrumental und doch ultra-quirlig. Auf der zweiten CD lockert ein Fundstück aus ein bisschen Studio-Atmo auf: Auch dem Perfektionisten Zappa passierten Aussetzer: "Twinkle Tits (Take 1, False Start)" gibt davon einen kurzen Eindruck.
Das Bonus-Material (nicht auf Vinyl, nur auf CD) bietet noch die eher langatmige Rhythm'n'Blues-Endlos Improvisation "Transylvania Boogie (Unedited Master)", die hoch interessanten Percussion-Studien "The Clap (Unedited Master-Part I)" und "The Clap (Unedited Master-Part II)" zur Horizonterweiterung, das völlig unveröffentlichte Rhythmusgitarren-Instrumental "Halos And Arrows", das die Toningenieure zufällig und mit viel Geduld beim Abhören fanden, und den frühen Industrial-Grunge "Moldred", der schließlich mit Säge-Sound das Gesamt-Feeling untermauert: "Funky Nothingness" ist Zappas Zeremonie der Freiheit in bisweilen tiefen Frequenzen.
1 Kommentar
Da die Rezi bisher unkommentiert blieb, versuche ich mal, sie zu würdigen:
Mit post-mortem-Veröffentlichungen hab ich ja generell so meine Probleme, und bei Zappa gibt es da einen speziellen Zwiespalt. Einerseits war er ja Perfektionist und hat alles, was raus ging, bis ins Detail kontrolliert. Somit fühlt sich ein Album, das andere zusammengestellt haben, "unecht" an. Andererseits ist es ja um jeden Schnipsel, der vom Meister aufgenommen wurde, schade, wenn ihn keiner zu Gehör bekommt.
In diesem Fall bin ich besonders angetan. Die Aufnahmen stammen aus meiner Lieblingsphase, ohne viel Bla-Bla (wobei ich Zappa als Sänger und Texter auch liebe) und sind gut zusammengestellt.
Die Rezension gefällt mir auch sehr gut, inklusive Einordnung ins Gesamtwerk und der (leider wohl inzwischen sinnvollen) Einleitung "Wer war Frank Zappa".