laut.de-Biographie
Slime
Wenn man nach der wichtigsten deutschen Punkband fragt, fällt neben den Hosen und den Ärzten auch der Name Slime. Doch im Gegensatz zu den genannten kommerziell erfolgreichen Gruppen behalten Slime seit ihrer Gründung 1979 bis zum vorläufigen Ende '95 einen Untergrund-Status.
Sie sind die erste wahre Punkband in Deutschland und verbinden die Fuck You-Attitüde sowie die ausgeprägte Individualität der Sex Pistols mit einer radikal linken politischen Einstellung. Sie gelten als legitime Nachfolger der Scherben um Rio Reiser. Anfang der Achtziger werden Slime mit ihren linken Parolen zum Symbol des Widerstands gegen Polizei, Staat und Gesellschaft. Konservative Kräfte rücken Slime sogar in die Nähe der RAF, einzelne Stücke werden zensiert.
Doch Slime bleiben in all den Jahren in erster Linie Punkrocker und lassen sich nie von irgendeiner Polit-Szene vereinnahmen. So entwickeln sie sich musikalisch und lyrisch zu einer anspruchsvollen, hinterfragenden Hardcore-Band.
Slime werden 1979 von Elf (Gitarre), Eddie (Bass) und Ball (Drums) in Hamburg gegründet. Als musikalische und persönliche Inspiration dienen die frühen englischen Bands wie die Sex Pistols, The Damned und The Clash. Den ersten Auftritt im Hamburger Jugendknast Neuengamme absolvieren sie einige Monate später, als Frontmann Dirk dazu stößt.
Im folgenden Jahr erscheint die erste Single "Wir Wollen Keine Bullenschweine" auf dem Label Rip Off. Diese Single nehmen die Absoluten Beginner mehr als ein Jahrzehnt später als Vorbild für ihren Beitrag "K.E.I.N.E" zum "Kill The Nation With A Groove"-Soundtrack. Um den Sound variabler und druckvoller zu gestalten, kommt Christian als zweiter Gitarrist dazu. Es folgen Konzerte bei Schulfesten und auf Demos. Kurz darauf erscheint im Selbstvertrieb die erste LP "Slime 1".
Das Album strotzt nur so vor Wut und Hass auf die Gesellschaft. "Bullenschweine" und "Polizei SA/SS" sind die Reaktion auf Polizeikessel und Hausdurchsuchungen in einer von Terrorismus-Hysterie durchtränkten Zeit. "Deutschland Muss Sterben" avanciert zur Hymne aller Linken. "Wo Faschisten und Multis das Land regier'n, wo Leben und Umwelt keinen interessieren, wo alle Menschen ihr Recht verlier'n, da kann eigentlich nur noch eins passieren: Deutschland muss sterben, damit wir leben können."
Die Konzerte von Slime enden dann auch nicht selten in Straßenschlachten mit der Polizei. Ihre Popularität wächst stetig, 1982 folgt die zweite Platte "Yankees Raus" auf dem Berliner Label AGR. Kurze Zeit später fallen Slime als erste Punkband der Zensur zum Opfer. "Bullenschweine", "Deutschland" und "Polizei SA/SS" dürfen nicht mehr live gespielt und müssen auf Platte mit Pieptönen überblendet werden.
Die dritte Scheibe "Alle Gegen Alle" fällt wesentlich hardcorelastiger aus, die Texte differenzierter als das frühere Parolengebrülle. Slime touren, meistens für 'nen Appel und ein Ei, kreuz und quer durch ganz Deutschland. 1984 trennen sie sich aufgrund stetiger Anfeindungen innerhalb der linken Szene und wegen des rockstarartigen Status' der Band.
Zwischen 1985 und 1989 probieren sich die Mitglieder mehr oder weniger erfolgreich in diversen Bands und kommen nur für einige Soli-Gigs zusammen. Doch die grandiose Stimmung bei den Konzerten scheint die einzelnen Mitglieder wieder Blut lecken zu lassen: Slime feiern zum Zeitpunkt der Wende ihre Reunion. Die wachsende Gewalt von Neonazis und die Angst vor einem neuen großdeutschen Reich ist der Motor, der Slime wieder zum Laufen bringt.
Als Appetitanreger veröffentlichen sie die Scheibe "Die Letzten", die zum Großteil aus alten Songs und Coverversionen besteht. Mit dem 1992er Album "Viva La Muerte" betreten Slime vom Metal beeinflusstes Neuland. Der Sound klingt wesentlich druckvoller. Die Songs bestehen nicht mehr nur aus straightem Geknüppel, sondern bergen durchdachte Kompositionen. Die textliche Schwarz-Weiß-Malerei weicht persönlichen, tiefgehenden Lyrics.
Doch Slime spielen sich mit dieser Scheibe nur warm. Ein Jahr darauf gelingt ihnen der große Wurf. "Schweineherbst" gilt zahlreichen Punkrock-Fans und Musikkritikern als bestes Deutschpunk-Album aller Zeiten. Intelligente Texte, kraftvoller Midtempo-Hardcore und eine unglaubliche Sound-Dichte machen die Platte zum Erlebnis. Jeder Song ist ein Hit in den Charts für Menschlichkeit, voller wütender Hoffnung auf eine bessere Welt. Zum Glück versuchen Slime gar nicht erst, ein solches Meisterwerk zu überbieten, sondern gehen 1994 erneut getrennte Wege.
Slime beeinflussen unzählige Gruppen, doch ihre Power bleibt trotzdem unerreicht. Ihre Wut und Texte gelten als ungebrochen wichtig. Eine andere Punkband fragt dennoch, "ob Slime vielleicht ein Fehler war". Die Boxhamsters diskutieren in "Mono" die Wichtigkeit der frühen Parolen. Doch nur weil jeder dumme Proll Lieder wie "Nazis Raus" oder "Bullenschweine" mitgrölen kann, sind sie nicht weniger relevant. Sie sind eine Bestandsaufnahme einer Phase in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Leider haben Slime über die Jahre nicht viel von ihrer Aktualität verloren. Das sehen sie selbst offenbar ähnlich: Ab Ende 2009 legen sie der Republik auf Konzerten wieder gezielt die Finger in die Wunden und stauen bis 2012 sogar genug Wut auf, um ein neues Studioalbum zu veröffentlichen ("Sich Fügen Heißt Lügen").
Der nächste Streich folgt im Spätsommer 2017, pünktlich zu der Bundestagswahl, die Rechtsextremen wieder Sitze im deutschen Bundestag beschert. Nie schien das Land eine Punk-Institution wie Slime dringender zu brauchen als "Hier Und Jetzt".
Drummer Axel Schwers ist im März 2023 auch auf einem Album des Nebenprojekts Universum25 zu hören. Das gleichnamige Album "Universum25" sei eine "ungeschönte Bestandsaufnahme des globalen Status Quo" heißt es. Auch Mitglieder von In Extremo, Eisbrecher, Fiddler's Green und Dritte Wahl sind an dem Projekt beteiligt.
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