laut.de-Kritik
Mit Taylor Swift und Phoebe Bridgers raus aus der Depression.
Review von Paula FetzerVier Jahre ließen sich The National für ihr neuntes Studiowerk Zeit, die längste Pause, die die Indierocker bis dato zwischen zwei Alben eingelegt haben. Wie schon auf "I Am Easy To Find" ist nicht nur Matt Berninger am Mikrofon zugange, auch Sufjan Stevens, Taylor Swift und Phoebe Bridgers sind zu hören. Letztere gleich auf zwei Songs.
Der neuen Platte ging eine Schreibblockade des Fronters voraus, ausgelöst von Depressionen. Außerdem, so Berninger, war es für seine Band "das erste Mal, dass wir das Gefühl hatten, dass die Dinge vielleicht wirklich zu einem Ende gekommen waren." Doch The National rappelten sich wieder auf.
Der häufige Einsatz von Klavier fällt schon beim atmosphärischen Opener "Once Upon A Poolside" auf, der mit einer Melodie beginnt, die an Radiohead erinnert. Darüber legt sich Berningers tiefe und gefühlvolle Stimme, die nach kurzer Zeit von Stevens ergänzt wird: Seine Hintergrund-Vocals wirken gespenstisch, kreieren aber im Zusammenspiel mit den Streichern, die immer mehr in den Vordergrund rücken, trotzdem einen warmen, melancholischen Klang. Eine einzelne Violine tritt schließlich hervor, die noch mehr Verletzlichkeit und Schmerz hinzufügt. Der Song wirkt schwebend und doch schwer zugleich.
Ähnlich schmerzhaft geht es mit "Eucalyptus" weiter: Der Protagonist in den Lyrics bleibt nach dem Ende einer Beziehung mit einem Haufen gemeinsamer Dinge alleine zurück, möchte aber nichts davon behalten, nur noch Erinnerungen an das, was mal war. "It wouldn't be fair / There's nobody home / I'm already there" steht für seine Einsamkeit, die vielschichtige Instrumentierung lenkt hier fast von dem intensiven Text ab. Gleichwohl könnte die Verflechtung der klaren E-Gitarren mit dem Beat im Intro und der Strophe nicht stärker nach The National klingen. Dennoch wirkt der Track zu repetitiv und wird unnötig lange hinausgezögert.
In "New Order T-Shirt" teilt Berninger Erinnerungsfetzen einer Person, die nicht mehr Teil seines Lebens ist: "You in a Kentucky aquarium / Talking to a shark in a corner", reminisziert er. Die nostalgische Stimmung entgeht dem Hörer aber beim ersten Durchlauf. Dass der Sänger noch immer unter den einst erlebten Situationen leidet ("Split second glimpses and snapshots and sounds / [...] I carry them with me like drugs in a pocket"), offenbart sich erst, wenn man die helle, fröhliche Gitarre und den munteren Schlagzeugrhythmus wegdenkt. Im Hintergrund ist Bryan Dessners Frau Mina Tindle zu hören, die bereits auf "I Am Easy To Find" mitsang.
Einfluss auf die Platte hatte auch Carin Besser. Berningers Frau half ihm durch die schwere Zeit vor den Albumaufnahmen: "Das bist nicht du, es ist nicht real, das ist gerade nur dein Gehirn, dein Kopf ist nicht dein Freund", habe sie ihm eingebläut. Dieses Mantra, verbunden mit der Lektüre der ersten zwei Seiten des Romans "Frankenstein", mündete schließlich in "Your Mind Is Not Your Friend", das dem Thema entsprechend ein nachdenklich klavierbasiertes Stück geworden ist. Phoebe Bridgers, die nach "This Isn't Helping" zum zweiten Mal im Duett mit Berninger zu hören ist, prägt die Stimmung des Tracks mit sanfter Stimme.
Die erste Single, "Tropic Morning News", beginnt ungewohnt mit Drummachine, die Schlagzeuger Bryan Devendorf zu Beginn ersetzt. Hinter der peppigen, mit einem Gitarrensolo ausgestatteten Nummer, versteckt sich ein Thema, das nicht ganz so sommerlich ist, wie der Titel vermuten lässt. Der Ausdruck "Tropic Morning News" stammt von Berningers Frau und bezeichnet das Phänomen des Doomscrollings. Wie der Frontmann verrät, "geht es im Lied darum, sich damit schwer zu tun, eine Verbindung zu anderen herzustellen, weil jedes potenzielle Gespräch von dem Lärm der Welt übertönt wird".
Mit "The Alcott" revanchieren sich The National bei Taylor Swift: Nachdem die Band auf deren Song "Coney Island" mitgewirkt hatte, Gitarrist Aaron Dessner produzierte "Evermore" gar mit, ist die Sängerin nun ihrerseits als Feature gelistet. In der intimen Ballade sticht das Klavier hervor, dazu pocht der Beat wie ein Herzschlag. Auch hört man wieder Streicher. Der Sound baut sich immer weiter auf, später werden gleich mehrere Gesangsmelodien von Swift geschichtet. Nachdem der Höhepunkt erreicht ist, ebbt der Song wieder ab und nur ihre Stimme bleibt übrig.
Nach einem atmosphärischen Einstieg gerät "Grease In Your Hair" leider recht einfallslos. Der Beat, das energetischere Tempo im Refrain erinnern stark an "Tropic Morning News". Am Ende von "First Two Pages Of Frankenstein" steht mit "Send For Me" dann noch ein letztes ruhigeres Stück: Berninger wird zunächst von einer Drum Machine begleitet, die dem Song das persönliche Moment nimmt, Streicher und eine weibliche Stimme rücken das Bild aber wieder gerade.
The National klingen auf "First Two Pages Of Frankenstein" im Prinzip wie gewohnt, fügen aber eine ordentliche Portion Klavier und Streicher hinzu. Gitarren-dominierte, aufgeweckte Titel wie "Tropic Morning News" oder "Eucalyptus" stehen dazu im Kontrast. Die Duette gelingen alle, am meisten stimmt die Chemie aber bei dem Stück mit Swift. Dennoch vermisst man ein bisschen diese gewisse, fein austarierte Balance zwischen Berningers Stimme, die sich wie eine warme Decke tröstend um den Hörer legt, und den Instrumentalpassagen. Stattdessen wird jede Sekunde mit Text gefüllt - der ist dafür geistreich wie immer.
10 Kommentare mit 4 Antworten
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Die Anzahl der Kommentare zeigt auch was das Problem ist. The national wurden von einer Recht kreativen Kritiker-liebling guten Indie-Band zu...halt dem hier. Unbedeutendem Taylor Swift indie für das Radio. Schade drum. Boxer war großartig...
Vielleicht zeigt die Anzahl der Kommentare auch, dass manch einer lieber erst das Album hört, bevor er/sie was dazu schreibt.
Da sind immer noch viele tolle Songs drauf und ich sehe es insgesamt weit über Durchschnitt, kann die 3/5 aber als Konstatierung einer Stagnation akzeptieren. Beim ersten Hören klingt die Platte ein bisschen nach Autopilot.
Mich stören vor allem die Texte. Berninger hat immer noch tolle Zeilen, textet aber insgesamt direkter als früher. Ohne die Wortspiele und schrägen Metaphern klingt die Melancholie dann ein bisschen doofer. Insgesamt fehlt mir das widerborstige, affektiert selbstbewusste, was ihn immer von den ganzen anderen Jammerlappen unterschieden hat.
Eucalyptus, Tropic Morning News und Send for me (als erster hoffnungsvoller Song der Band) sind trotzdem Hits.
Tja, es soll ja Leute geben, für die The National eine Quelle der Weisheit und ihre Musik das Größte im Universum ist - ich hab "Boxer", für Betroffenheitsindiemucke wirklich ziemlich okay, auch wenn die nicht rocken können. Braucht man mehr von denen? Nö, und datt hier ist halt Betroffenheitsgegniedel, wer's mag, okay, but not for me
Ist (wie zu erwarten war) kein "High Violet" aber ist ok.
Nach mehreren Runden muss ich sagen: Großartige Scheibe. "Tropic Morning News" ist mein Fav, aber einige andere sind auch sehr gut.