laut.de-Kritik

Meilenstein zeitgenössischer Tonkunst und Klanggestaltung.

Review von

Das Jahr 2013 geizt bislang nicht mit Progrock-Schmankerln. Angeführt von Steven Wilson, dicht gefolgt von weiteren Könnern wie Spock's Beard und Amplifier übernehmen nun The Tangent den Staffelstab und läuten mit ihrem konzeptuell Musikepos "Le Sacre Du Travail", das einen archetypischen Arbeitstag ausleuchtet, die zweite Jahreshälfte ein.

Das Konzept mutet trivial an, und doch wirft Mastermind Andy Tillison interessante Fragen nach unseren eingeschliffenen Mustern und Verhaltensweisen auf. Unkonventionelle Musikgestaltung bereichert den in Stereotypen erstarrten Alltag mit Individualität. Jeder Tag wirkt gleich und ist doch so verschieden. Die Musik selbst erinnert nur bedingt an den traditionellen Progrock. In ihrem Mut, grenzgängerisch zu denken, verdienen sich Tillison und seine Supergroup wiederum das Attribut progressiv.

Die Begeisterung für Strawinskys Ballettmusiken und Miniopern zeigen bereits die namentlichen Anleihen bei "Le Sacre Du Printemps". Die Aufbruchsstimmung um 1900 mit ihrer impressionistischen Klanggestaltung bei expressionistischem Aufbruchswillen bildet den äußeren Rahmen, wiedergegeben durch die Trackeinteilung in Movements.

Als Herzstück des Albums fungieren die drei Longtracks "Morning Journey & The Arrival", "Afternoon Malaise" und "Evening TV", die den Vormittag, Nachmittag und Abend beschreiben. Tillisons Klassikbegeisterung geht aber nicht etwa auf einen elitären Bildungsbürgerhabitus zurück, sondern auf das sich beim Genuss der Werke entfaltende Kopfkino.

Gerade die minutiöse Musikgestaltung mit ihren vielen Brüchen erinnert eher an eine szenische Gestaltung, wie man sie aus Theater, Oper oder Film kennt, als an die gewohnte Abfolge einzelner Nummern. Dazwischen tummeln sich Parts mit Reminiszenzen an Mike Oldfield, Genesis, Rush, Yes, an weitere populäre Leitsterne wie Simon & Garfunkel und Eagles oder an experimentelle Spielarten wie Jazz und Fusion.

Charakteristisch fällt wiederum der Gesang aus, für den man sich die Unterstützung von David Longdon sicherte. Nicht jeder Ton sitzt, dafür wurden der Ausdruck und die Begeisterung adäquat eingefangen. Bemerkenswert ist weiterhin die Ästhetik für Melodiebögen, die trotz ihrer einprägsamen Struktur sämtliche emotionale Facetten ausleuchten.

Hervorzuheben ist die brillante Instrumentierung, die stetig zwischen natürlichen und elektronischen Frequenzspektren oszilliert. Festzumachen ist dies an der virtuos-melodiösen Bassgestaltung von Jonas Reingold, an Gavin Harrisons akzentuiertem Drumming, an den Suitencharakter herausstellenden klassischen Einsprengseln sowie den dem Konzept folgenden Soundscapes.

In Zeiten oberflächlichen Musikkonsums wirkt das abwechslungsreiche und durchdachte Konzept als erfreulicher Kontrapunkt zur musikalischen Beliebigkeit der meisten Veröffentlichungen. In seiner Gesamtheit ist "Le Sacre Du Travail" ein Geniestreich, ein Meilenstein zeitgenössischer Tonkunst und Klanggestaltung.

Trackliste

  1. 1. 1st movement: Coming Up On The Hour (Overture)
  2. 2. 2nd movement: Morning Journey & The Arrival
  3. 3. 3rd movement: Afternoon Malaise
  4. 4. 4th movement: A Voyage Through Rush Hour
  5. 5. 5th movement: Evening TV
  6. 6. Muffled Ephiphany
  7. 7. Hat (Live At Mexborough School 1979)
  8. 8. EveningTV ((Radio Edit))

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